KINO | 21.10.2020

GREENLAND

Ein riesiger Komet rast in hoher Geschwindigkeit auf die Erde zu und soll Berechnungen zufolge vor Eintritt in die Erdatmosphäre verglühen. Doch die Prognosen stimmen nicht – ein erstes Fragment des Kometen stürzt nicht ins Meer, sondern zerstört stattdessen ganz Florida. Gerüchte, dass nur ein ausgewählter Kreis von Personen in Sicherheit gebracht werden kann, machen bereits die Runde, als Ingenieur John Garrity von der US-Regierung aufgefordert wird, sich sofort gemeinsam mit seiner Frau Allison und Sohn Nathan zu einer Militärbasis zu begeben.

von Richard-Heinrich Tarenz


© Tobis Film

Manchmal holt die Realität die Fiktion schneller ein als man sich vorstellen kann. Keine Angst, es steht kein Meteoriteneinschlag auf der Erde bevor. Allerdings hat sich vor wenigen Tagen eine NASA Sonde mit dem wohlklingenden Namen „Osiris Rex“ in einem sehr anspruchsvollen Manöver einem Asteroiden genähert und Proben entnommen. Diese werden im Jahre 2023 auf der Erde abgeliefert und werden viele wichtige Informationen über den Aufbau des Asteroiden an den Tag legen. Hintergrund dieser Weltraummission ist der Umstand, dass sich der Asteroid mit dem Namen „Bennu“, der einen Durchmesser von rund 550 Metern hat, der Erde in gut 150 Jahren sehr nahe kommen wird. Auch wenn die NASA derzeit einen Einschlag auf der Erde als sehr gering erachtet, ist es nicht ausgeschlossen. Der Asteroid gehört zu den gefährlichsten derzeit bekanntesten Asteroiden in unserem Sonnensystem. An dieser technischen Meisterleistung der NASA kann man erkennen, dass das Szenario in „Greenland“ nicht aus der Luft gegriffen ist. Der Katastrophenfilm von Regisseur Ric Roman Waugh („Angel Has Fallen“) ist ein gelungener Spielfilm, der spannend und mitreißend ist und mit einem Gerard Butler („Criminal Squad“) in Höchstform aufwartet. In einer Zeit, wo gute und mitreißende Filme Mangelware sind, kommt „Greenland“ genau richtig, um Menschen eine unterhaltsame und spannende Zeit im Kino zu verschaffen. Das sympathische an „Greenland“ ist, dass der Film erst gar nicht versucht bekannte Genre-Vertreter, wie „2012“ und „Armageddon“ mit noch mehr Explosionen und noch mehr Action-Szenen zu übertrumpfen, was ohnehin schwer möglich wäre. Stattdessen fokussiert sich der Film auf Emotionen und eine spannende und treibende Handlung, die den Zuschauer bis zur letzten Sekunde in seinen Bann zieht. Der Film stellt eine Familie in den Mittelpunkt der Handlung, die inmitten einer weltweiten Katastrophe ihre ganz eigenen Probleme zu bewältigen hat.


© Tobis Film

Der Zuschauer wird sofort in das Geschehen hineingeworfen. Die Hintergrundinformationen zum Geschehen erfolgen zumeist über Nachrichtenbeiträge, die über den Kometen informieren. Die familiären Eheprobleme werden kurz und knapp geschildert, ebenso wie die Einführung der Hauptfigur. Das ist so reduziert wir passend. Erfreulicherweise fehlt in diesem Film der übliche Overkill an Effekten. Wenn Teile des Kometen in Florida einschlagen und den US-Bundesstaat weitgehend verwüsten, sieht man das kurz in den Nachrichten und wird Zeuge, als die Druckwelle im Haus der Garritys die Scheiben zersplittern lässt. Mehr braucht es auch gar nicht, um den Ernst der Lage zu dokumentieren. Wenn sich dann die Familie auf den Weg zum Militärstützpunkt macht und dabei um Hilfe flehende Freunde zurücklassen muss, ist das nicht nur herzzerreißend und schwer zu ertragen. Es deutet die moralischen Verwerfungen an, die unlösbar sind. Was geschieht mit normalen Menschen, wenn die Welt untergeht und die Zivilisation zu bröckeln beginnt? Diese Fragen beleuchtet der Film sehr eindrucksvoll. Wie weit geht man, um seine Familie und sein eigenes Leben zu schützen, wenn Anarchie herrscht?

In „Greenland“ sind die Menschen mindestens genauso gefährlich wie der nahende Komet. Sie plündern, beten, feiern eine letzte Party oder kämpfen einfach nur im ihr eigenes Überleben. Der Film steigert gekonnt sein Tempo, während die Handlung immer wieder neue Wendungen an den Tag legt. Das ist nicht immer sehr subtil in Szene gesetzt, aber sehr effektiv und unglaublich spannend. Die Spannung reißt während der gesamten Spielzeit von 120 Minuten nie ab. Die Welt in „Greenland“ wird von Minute zu Minute düsterer und gefährlicher. Der Zuschauer bangt mit der Familie und wird so Teil einer emotionalen Achterbahnfahrt. Das funktioniert so gut, weil es in „Greenland“ in erster Linie um das Schicksal dieser Familie geht.


© Tobis Film

Natürlich gibt es noch weitere interessante Punkte in der Handlung, wie die Regierungen, die ihre Bevölkerungen belügen und sich selbst und eine handverlesene Schar an Menschen in Sicherheit bringen. Zugleich kann man „Greenland“ als Kommentar auf die derzeitige Zerrissenheit der US-Gesellschaft deuten. Jeder sucht seinen persönlichen Vorteil und ein gesellschaftliches Miteinander ist längst eine Fiktion geworden, sogar die Familie scheint zu einem dysfunktionalen Ort geworden zu sein. Doch in einer solchen existentiellen Krise zeigt sich nicht nur das schlimmste im Menschen, sondern auch das beste im Menschen. Aus Fremden werden Freunde, die einander helfen, eine kaputte Familie findet wieder zu sich. Das „Greenland“ so gut funktioniert mit dem Fokus auf die Familie und das Private ist den beiden Hauptdarstellern zu verdanken, die es den Zuschauern leicht machen sich emotional einzuklinken. Man fragt sich, was man selber in einer solchen Situation tun würde. Die entscheidende Frage, die für große Spannung sorgt, ist, ob diese Familie, die einem ans Herz gewachsen ist, es noch rechtzeitig zu den Schutzräumen in Grönland schaffen wird. Der Umstand, dass dieser Film nur über ein für dieses Genre vergleichsweise niedriges Budget verfügte, erweist sich als Glückfall. Dieser Film bietet jede Menge Emotionen und eine spannende Handlung und nicht die üblichen CGI-Orgien.


GREENLAND

USA 2020 | Tobis Film | Start: 22. Oktober 2020 (FSK 12)
R: Ric Roman Waugh | D: Gerard Butler, Morena Baccarin, David Denman


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