Kaum
hat sich die kleine schwarze Katze den Schlaf aus den Augen gerieben,
muss sie erschrocken feststellen, dass eine gewaltige Flut die alte
Welt unter sich begräbt. Gerade noch so rettet sie sich auf ein
Segelboot, wo nach und nach auch ein diebisches Äffchen, ein
gutmütiger Labrador, ein schläfriges Wasserschwein und ein
stolzer Sekretär (Vogel) Zuflucht finden.
In
einer filmischen Landschaft, die oft von spektakulären und lauten
Blockbustern dominiert wird, sticht aktuell ein Animationsfilm als
leises, aber kraftvolles Werk hervor. Der lettische Regisseur Gints
Zilbalodis entführt mit „Flow“, der jetzt für
das Heimkino erschienen ist, in eine postapokalyptische Welt, in der
die Menschheit verschwunden ist und Tiere die Hauptakteure sind. Ohne
ein einziges gesprochenes Wort erzählt der Film eine tiefgründige
Geschichte über Verlust, Anpassung und die stille Schönheit
des Überlebens. Die Geschichte folgt einer schwarzen Katze, die
sich in einer von steigenden Wassermassen bedrohten Welt wiederfindet.
Auf der Flucht vor der Flut findet sie sich auf einem Boot gemeinsam
mit einem Capybara, einem Lemuren, einem Hund und einem großen
weißen Vogel wieder. Gemeinsam reisen die Tiere durch verlassene
Landschaften auf der Suche nach höher gelegenem Terrain und müssen
dabei ihre Differenzen überwinden, um zu überleben. Die
Abwesenheit von Dialogen lenkt den Fokus auf die nonverbale Kommunikation
der Charaktere und die visuell eindrucksvolle Welt. Was „Flow“
besonders bemerkenswert macht, ist sein einzigartiger Animationsstil.
Zilbalodis entschied sich, seine Vision mit der freien Open-Source-Software
Blender zum Leben zu erwecken. Diese verleiht dem Film eine unverwechselbare
Ästhetik, die sowohl realistische als auch stilisierte Elemente
miteinander verbindet. Während die Landschaften und Wassereffekte
mit sehr viel Liebe zum Detail gestaltet sind, wird auf hochdetaillierte
Figurenanimationen verzichtet. Stattdessen liegt der Fokus auf der
Mimik der Tiere, um ihre Gemütszustände zu vermitteln.
Ich
persönlich habe etwas Zeit gebraucht, mich an den Animationsstil
zu gewöhnen. Gerade zu Beginn scheinen einige Sequenzen wie das
Gameplay aus einem Videospiel, was im ersten Moment etwas befremdlich
wirkt, aber nach spätesten zehn Minuten habe ich mich vollkommen
in den Stil von „Flow“ verliebt. Die Kombination aus detaillierter
Gestaltung und minimalistischer Animation schafft eine Atmosphäre,
die sowohl beruhigend als auch zutiefst eindringlich ist. Die Thematik
des Films ist aktueller denn je. Ohne explizit darauf hinzuweisen,
lässt „Flow“ Raum für Interpretationen über
die Folgen des Klimawandels und die Rolle des Menschen in der Natur.
Der stetig steigende Wasserpegel und die verlassenen Strukturen vermitteln
eine Welt, die durch menschliches Handeln aus dem Gleichgewicht geraten
ist. Trotzdem vermittelt dieser Film Hoffnung und zeigt die Resilienz
der Natur und ihrer Bewohner. In der diesjährigen Oscar-Saison
wurde „Flow“ als erster lettischer Film überhaupt
als bester internationaler Spielfilm nominiert und erhielt zudem eine
Nominierung in der Kategorie bester animierter Spielfilm, welche er
gewann. Diese Anerkennung ist nicht nur ein Triumph für Zilbalodis
und sein Team, sondern auch ein bedeutender Moment für den unabhängigen
Animationsfilm. In einer Branche, die von großen Studios dominiert
wird, zeigt „Flow“, dass auch mit bescheidenen Mitteln
und unkonventionellen Methoden großartige Kunst geschaffen werden
kann. Mich persönlich hat dieser Animationsfilm sehr überzeugt.
Regisseur Gints Zilbalodis hat ein Werk geschaffen, das die Grenzen
des Genres erweitert und beweist, dass wahre Kunst keine Worte braucht,
um eine tiefgreifende Botschaft zu vermitteln.
FLOW
ET:
05.06.25: digital / 17.07.25: DVD & Blu-ray | FSK 12
R: Gints Zilbalodis | Animationsfilm
Lettland, Frankreich, Belgien 2024 | MFA+ Cinema