Als
sich ein Fischer einem Industrieprojekt in den Weg stellt, wird er
von den Unternehmensentwicklern ermordet. Seine Frau Migiwa, eine
Perlentaucherin, schmiedet einen Plan, um seinen Tod zu rächen.
Sie wird sowohl von der Polizei als auch von Yakuza verfolgt. Auf
einer kleinen Insel findet sie Zuflucht in einem Bordell, um Kraft
zu schöpfen für den Tag der Abrechnung.
Mit
der jüngst erfolgten Veröffentlichung auf Blu-ray samt reichhaltigem
Bonusmaterial erfährt der japanische Kultklassiker „Mermaid
Legend“ von Regisseur Toshiharu Ikeda aus dem Jahre 1984 eine
späte, aber verdiente Wiederentdeckung. Dieses im internationalen
Kino lange unter dem Radar geflogene Werk, das in seiner hybriden
Ästhetik Elemente aus Rachethriller, Melodram, Horror und Mythos
amalgamiert, erweist sich aus heutiger Perspektive als bemerkenswert
visionär. Nicht nur formal, sondern auch in seiner politischen
und kulturellen Tiefenstruktur. „Mermaid Legend“ erzählt
die Geschichte der Perlentaucherin Migiwa Saeki (dargestellt von Mari
Shirato), deren friedliches Leben durch ein verbrecherisches Komplott
der lokalen Machthaber – sinnbildlich für patriarchale
Gewalt und ökonomische Machtgier – zerstört wird.
Was folgt, ist keine konventionelle Rachegeschichte, sondern ein ästhetisch
und symbolisch aufgeladener Befreiungsschlag. Der Film vollzieht dabei
einen bemerkenswerten Wandel: von einem kontemplativen Küstendrama
zu einem kathartischen Fanal filmischer Gerechtigkeit. Ikeda nutzt
dabei das Stilmittel der filmischen Verwandlung nicht nur auf narrativer
Ebene. Die Bildsprache selbst verändert sich: Von lichtdurchfluteten
Naturaufnahmen hin zu expressionistisch aufgeladenen Kompositionen,
die Schmerz und Entschlossenheit ins Bild bannen. Der Kontrast zwischen
poetischer Stille und eruptiver Gewalt erweist sich als filmisch produktiver
Widerspruch – als visuelle Allegorie auf den inneren wie äußeren
Umbruch der Protagonistin. In einer Ära des japanischen Kinos,
die noch stark von männlich dominierten Erzählstrukturen
geprägt war, setzt „Mermaid Legend“ ein stilles,
aber unübersehbares Zeichen: Migiwas Weg ist nicht der des weiblichen
Opfers, sondern der der Transformation zur autonomen Akteurin. Dabei
meidet der Film jede Form billiger Heroisierung.
Vielmehr
verleiht er seiner Protagonistin eine tiefe, psychologisch glaubwürdige
Menschlichkeit – voller Zweifel, Schmerz und Entschlossenheit.
Die Anrufung der „Meerjungfrau“ als mythisches Prinzip
– halb Frau, halb Naturkraft – gerät hier nicht zur
folkloristischen Staffage, sondern avanciert zur metaphorischen Verdichtung
weiblicher Unverfügbarkeit. Migiwa wird nicht zum Objekt des
männlichen Blicks, sondern zum Subjekt einer Geschichte, die
sich den klassischen Mustern des Genres widersetzt und dabei umso
tiefgreifender wirkt. Die Kamera von
Yonezo Maeda nutzt das Meer nicht nur als pittoreskes Setting, sondern
als psychodramatische Projektionsfläche: Es wird zum Symbol der
Unberechenbarkeit, Tiefe und Wiedergeburt. Unterwassersequenzen fungieren
als Räume des Rückzugs wie auch der Ankündigung: Jede
Einstellung trägt eine Bedeutungsschwere, die weit über
das Sichtbare hinausgeht. Die Musik von Toshiyuki Honda unterstreicht
dies kongenial – mal meditativ, mal jazzartig zersplittert,
begleitet sie den Film als akustische Partitur innerer Zustände.
Mermaid Legend“ ist nicht nur ein psychologisches Porträt
und kein reiner Genrefilm. Er ist auch ein gesellschaftlicher Kommentar.
Die Geschichte erzählt von Korruption, ökologischer Verwüstung
und der Ausbeutung lokaler Gemeinschaften durch industrielle Interessen
– Themen, die heute aktueller denn je erscheinen. Die filmische
Antwort darauf ist keine agitatorische Geste, sondern ein symbolischer
Akt: Die mythische Rückverwandlung der Frau zur Naturkraft wirkt
wie ein archaischer Protest gegen eine Moderne, die sich selbst entgrenzt
hat. Die nun verfügbare Blu-ray-Edition von „Mermaid Legend“,
ausgestattet mit umfassendem Bonusmaterial – darunter ein Audiokommentar
von Tom Mes und Jasper Sharp, ein Interview mit Co-Autor Takuya Nishioka
sowie ein Videoessay über Toshiyuki Honda – ist nicht nur
eine cineastische Wiederbelebung, sondern eine editorische Aufwertung.
Diese Veröffentlichung macht den Film nicht nur zugänglich,
sondern kontextualisiert ihn auch als kulturhistorisches Artefakt.
MERMAID LEGEND
ET:
17.07.25: Blu-ray | FSK 18
R: Toshiharu Ikeda | D: Mari Shirato, Jun Eto, Kentarô Shimizu
Japan 1984 | Rapid Eye Movies
Bonusmaterial:
Interview mit Autor Takuya Nishioka (30 Mintuen); Audiokommentar
von Jasper Sharp und Tom Mes; Video Essay über Toshiyuki
Honda von James Balmont (20 Mintuten); Trailer; Postkartenset