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DVD & BLU-RAY | 30.07.2025

MERMAID LEGEND

Als sich ein Fischer einem Industrieprojekt in den Weg stellt, wird er von den Unternehmensentwicklern ermordet. Seine Frau Migiwa, eine Perlentaucherin, schmiedet einen Plan, um seinen Tod zu rächen. Sie wird sowohl von der Polizei als auch von Yakuza verfolgt. Auf einer kleinen Insel findet sie Zuflucht in einem Bordell, um Kraft zu schöpfen für den Tag der Abrechnung.

von Richard-Heinrich Tarenz


© CARLOTTA FILMS

Mit der jüngst erfolgten Veröffentlichung auf Blu-ray samt reichhaltigem Bonusmaterial erfährt der japanische Kultklassiker „Mermaid Legend“ von Regisseur Toshiharu Ikeda aus dem Jahre 1984 eine späte, aber verdiente Wiederentdeckung. Dieses im internationalen Kino lange unter dem Radar geflogene Werk, das in seiner hybriden Ästhetik Elemente aus Rachethriller, Melodram, Horror und Mythos amalgamiert, erweist sich aus heutiger Perspektive als bemerkenswert visionär. Nicht nur formal, sondern auch in seiner politischen und kulturellen Tiefenstruktur. „Mermaid Legend“ erzählt die Geschichte der Perlentaucherin Migiwa Saeki (dargestellt von Mari Shirato), deren friedliches Leben durch ein verbrecherisches Komplott der lokalen Machthaber – sinnbildlich für patriarchale Gewalt und ökonomische Machtgier – zerstört wird. Was folgt, ist keine konventionelle Rachegeschichte, sondern ein ästhetisch und symbolisch aufgeladener Befreiungsschlag. Der Film vollzieht dabei einen bemerkenswerten Wandel: von einem kontemplativen Küstendrama zu einem kathartischen Fanal filmischer Gerechtigkeit. Ikeda nutzt dabei das Stilmittel der filmischen Verwandlung nicht nur auf narrativer Ebene. Die Bildsprache selbst verändert sich: Von lichtdurchfluteten Naturaufnahmen hin zu expressionistisch aufgeladenen Kompositionen, die Schmerz und Entschlossenheit ins Bild bannen. Der Kontrast zwischen poetischer Stille und eruptiver Gewalt erweist sich als filmisch produktiver Widerspruch – als visuelle Allegorie auf den inneren wie äußeren Umbruch der Protagonistin. In einer Ära des japanischen Kinos, die noch stark von männlich dominierten Erzählstrukturen geprägt war, setzt „Mermaid Legend“ ein stilles, aber unübersehbares Zeichen: Migiwas Weg ist nicht der des weiblichen Opfers, sondern der der Transformation zur autonomen Akteurin. Dabei meidet der Film jede Form billiger Heroisierung.


© CARLOTTA FILMS

Vielmehr verleiht er seiner Protagonistin eine tiefe, psychologisch glaubwürdige Menschlichkeit – voller Zweifel, Schmerz und Entschlossenheit. Die Anrufung der „Meerjungfrau“ als mythisches Prinzip – halb Frau, halb Naturkraft – gerät hier nicht zur folkloristischen Staffage, sondern avanciert zur metaphorischen Verdichtung weiblicher Unverfügbarkeit. Migiwa wird nicht zum Objekt des männlichen Blicks, sondern zum Subjekt einer Geschichte, die sich den klassischen Mustern des Genres widersetzt und dabei umso tiefgreifender wirkt. Die Kamera von Yonezo Maeda nutzt das Meer nicht nur als pittoreskes Setting, sondern als psychodramatische Projektionsfläche: Es wird zum Symbol der Unberechenbarkeit, Tiefe und Wiedergeburt. Unterwassersequenzen fungieren als Räume des Rückzugs wie auch der Ankündigung: Jede Einstellung trägt eine Bedeutungsschwere, die weit über das Sichtbare hinausgeht. Die Musik von Toshiyuki Honda unterstreicht dies kongenial – mal meditativ, mal jazzartig zersplittert, begleitet sie den Film als akustische Partitur innerer Zustände. Mermaid Legend“ ist nicht nur ein psychologisches Porträt und kein reiner Genrefilm. Er ist auch ein gesellschaftlicher Kommentar. Die Geschichte erzählt von Korruption, ökologischer Verwüstung und der Ausbeutung lokaler Gemeinschaften durch industrielle Interessen – Themen, die heute aktueller denn je erscheinen. Die filmische Antwort darauf ist keine agitatorische Geste, sondern ein symbolischer Akt: Die mythische Rückverwandlung der Frau zur Naturkraft wirkt wie ein archaischer Protest gegen eine Moderne, die sich selbst entgrenzt hat. Die nun verfügbare Blu-ray-Edition von „Mermaid Legend“, ausgestattet mit umfassendem Bonusmaterial – darunter ein Audiokommentar von Tom Mes und Jasper Sharp, ein Interview mit Co-Autor Takuya Nishioka sowie ein Videoessay über Toshiyuki Honda – ist nicht nur eine cineastische Wiederbelebung, sondern eine editorische Aufwertung. Diese Veröffentlichung macht den Film nicht nur zugänglich, sondern kontextualisiert ihn auch als kulturhistorisches Artefakt.


MERMAID LEGEND

ET: 17.07.25: Blu-ray | FSK 18
R: Toshiharu Ikeda | D: Mari Shirato, Jun Eto, Kentarô Shimizu
Japan 1984 | Rapid Eye Movies

Bonusmaterial: Interview mit Autor Takuya Nishioka (30 Mintuen); Audiokommentar von Jasper Sharp und Tom Mes; Video Essay über Toshiyuki Honda von James Balmont (20 Mintuten); Trailer; Postkartenset


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