Eine
unerwartete Erbschaft bringt vier entfernte Verwandte in einem verlassenen
Landhaus in der Normandie zusammen, wo sie gemeinsam ihre mysteriöse
Familiengeschichte entdecken. Im Jahr 1895 bricht ihre Vorfahrin Adèle
im Alter von 21 Jahren nach Paris auf, um dort nach ihrer Mutter zu
suchen. Sie erlebt eine Stadt im Aufbruch zur Moderne, den Vormarsch
der Fotografie und die Anfänge der impressionistischen Malerei.
Am
14. August hält mit „Die Farben der Zeit“ ein Werk
Einzug in die Kinos, das sich der französische Regisseur Cédric
Klapisch als feines Gewebe aus Gegenwart und Vergangenheit erdacht
hat. In einer Erzählarchitektur, die an das Schichten eines alten
Ölgemäldes erinnert, lässt er zwei Zeitstränge
ineinanderfließen: eine lakonisch-zeitgenössische Rahmenhandlung
und ein historisches Intermezzo im Paris des Fin de Siècle.
Der Ausgangspunkt liegt in einem abgelegenen Dorf der Normandie, wo
der Abriss einer verfallenen Immobilie bevorsteht. Die Verwaltung
spürt eine Schar entfernter Erben auf – mehr als dreißig
an der Zahl –, deren anfängliche Überraschung bald
einer gemeinschaftlichen Entscheidungsfindung weicht. Vier von ihnen
machen sich auf, das Objekt zu begutachten. Was sie finden, ist weit
mehr als bröckelndes Gemäuer: In den Staubschichten des
Dachbodens schlummern Fotografien, Skizzen und ein Gemälde, das
die flirrende Lichtpoesie des Impressionismus in sich zu tragen scheint.
Von hier aus schlägt der Film einen eleganten Zeitsprung ins
Jahr 1895. Im Zentrum steht Adèle, eine junge Frau, die bei
ihrer Großmutter aufgewachsen ist und nun die Reise nach Paris
antritt, um die Spur ihrer Mutter zu finden. Ihre Wege kreuzen sich
mit Anatole, dessen Herz der Malerei gehört, und Lucien, einem
Fotografen mit Blick für das Flüchtige. In dieser historischen
Episode entwirft Klapisch ein Paris, das weniger als dokumentarische
Rekonstruktion erscheint, sondern vielmehr als poetische Projektion
– ein Ort, der die Strenge der Epoche mildert und ihr eine fast
zeitlose Leichtigkeit verleiht. Die Figuren, ob in der Mansarde oder
im Salon eines Bordells, bewegen sich in einer Atmosphäre, die
heutigen Empfindungen nähersteht als den Härten des 19.
Jahrhunderts.
Klapisch
entzieht sich dem Realismus zugunsten einer wohlkalkulierten Wärme:
Das Paris seiner Bilder ist nicht Kulisse für soziale Strenge,
sondern Bühne für menschliche Nähe und künstlerische
Sehnsucht. Zurück in der Gegenwart, im normannischen Dorf, atmet
der Film Momente leiser Komik und subtiler Beobachtung. Diese Sequenzen
mögen der zentralen Handlung keine dramatische Wende geben, doch
sie öffnen Raum für Zwischentöne, für den sanften
Rhythmus einer Erzählung, die mehr vom Fluss der Zeit als von
der Strenge der Kausalität getragen wird. Klapisch erweist sich
einmal mehr als Virtuose des „feel good“-Kinos in seiner
besten Form: Er verbindet Charme, Leichtigkeit und visuelle Eleganz
zu einem Mosaik, das nicht den Anspruch erhebt, historische Authentizität
bis ins Letzte zu vollziehen, sondern das Vergnügen an der erzählerischen
Freiheit feiert. „Die Farben der Zeit“ ist letztlich ein
filmisches Fresko, das Vergangenheit und Gegenwart nicht als Gegensätze,
sondern als sich gegenseitig befruchtende Ebenen begreift. Die Zeit
erscheint hier nicht als starre Linie, sondern als changierendes Kontinuum
– wie ein Gemälde, in dem Schicht um Schicht übereinanderliegt,
bis das Auge nicht mehr zwischen ursprünglichem Pinselstrich
und späterem Übermalen zu unterscheiden vermag. Das Ergebnis
ist ein Werk, das weniger auf Provokation zielt als auf die stille,
nachhaltige Berührung seiner Zuschauer.
DIE FARBEN DER ZEIT
Start:
14.08.25 | FSK 12
R: Cédric Klapisch | D: Suzanne Lindon, Abraham Wapler, Vincent
Macaigne
Frankreich, Belgien 2025 | StudioCanal Deutschland