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KINO | 13.08.2025

DIE FARBEN DER ZEIT

Eine unerwartete Erbschaft bringt vier entfernte Verwandte in einem verlassenen Landhaus in der Normandie zusammen, wo sie gemeinsam ihre mysteriöse Familiengeschichte entdecken. Im Jahr 1895 bricht ihre Vorfahrin Adèle im Alter von 21 Jahren nach Paris auf, um dort nach ihrer Mutter zu suchen. Sie erlebt eine Stadt im Aufbruch zur Moderne, den Vormarsch der Fotografie und die Anfänge der impressionistischen Malerei.

von Richard-Heinrich Tarenz


© STUDIOCANAL /Emmanuelle Jacobson-Roques

Am 14. August hält mit „Die Farben der Zeit“ ein Werk Einzug in die Kinos, das sich der französische Regisseur Cédric Klapisch als feines Gewebe aus Gegenwart und Vergangenheit erdacht hat. In einer Erzählarchitektur, die an das Schichten eines alten Ölgemäldes erinnert, lässt er zwei Zeitstränge ineinanderfließen: eine lakonisch-zeitgenössische Rahmenhandlung und ein historisches Intermezzo im Paris des Fin de Siècle. Der Ausgangspunkt liegt in einem abgelegenen Dorf der Normandie, wo der Abriss einer verfallenen Immobilie bevorsteht. Die Verwaltung spürt eine Schar entfernter Erben auf – mehr als dreißig an der Zahl –, deren anfängliche Überraschung bald einer gemeinschaftlichen Entscheidungsfindung weicht. Vier von ihnen machen sich auf, das Objekt zu begutachten. Was sie finden, ist weit mehr als bröckelndes Gemäuer: In den Staubschichten des Dachbodens schlummern Fotografien, Skizzen und ein Gemälde, das die flirrende Lichtpoesie des Impressionismus in sich zu tragen scheint. Von hier aus schlägt der Film einen eleganten Zeitsprung ins Jahr 1895. Im Zentrum steht Adèle, eine junge Frau, die bei ihrer Großmutter aufgewachsen ist und nun die Reise nach Paris antritt, um die Spur ihrer Mutter zu finden. Ihre Wege kreuzen sich mit Anatole, dessen Herz der Malerei gehört, und Lucien, einem Fotografen mit Blick für das Flüchtige. In dieser historischen Episode entwirft Klapisch ein Paris, das weniger als dokumentarische Rekonstruktion erscheint, sondern vielmehr als poetische Projektion – ein Ort, der die Strenge der Epoche mildert und ihr eine fast zeitlose Leichtigkeit verleiht. Die Figuren, ob in der Mansarde oder im Salon eines Bordells, bewegen sich in einer Atmosphäre, die heutigen Empfindungen nähersteht als den Härten des 19. Jahrhunderts.


© STUDIOCANAL /Emmanuelle Jacobson-Roques

Klapisch entzieht sich dem Realismus zugunsten einer wohlkalkulierten Wärme: Das Paris seiner Bilder ist nicht Kulisse für soziale Strenge, sondern Bühne für menschliche Nähe und künstlerische Sehnsucht. Zurück in der Gegenwart, im normannischen Dorf, atmet der Film Momente leiser Komik und subtiler Beobachtung. Diese Sequenzen mögen der zentralen Handlung keine dramatische Wende geben, doch sie öffnen Raum für Zwischentöne, für den sanften Rhythmus einer Erzählung, die mehr vom Fluss der Zeit als von der Strenge der Kausalität getragen wird. Klapisch erweist sich einmal mehr als Virtuose des „feel good“-Kinos in seiner besten Form: Er verbindet Charme, Leichtigkeit und visuelle Eleganz zu einem Mosaik, das nicht den Anspruch erhebt, historische Authentizität bis ins Letzte zu vollziehen, sondern das Vergnügen an der erzählerischen Freiheit feiert. „Die Farben der Zeit“ ist letztlich ein filmisches Fresko, das Vergangenheit und Gegenwart nicht als Gegensätze, sondern als sich gegenseitig befruchtende Ebenen begreift. Die Zeit erscheint hier nicht als starre Linie, sondern als changierendes Kontinuum – wie ein Gemälde, in dem Schicht um Schicht übereinanderliegt, bis das Auge nicht mehr zwischen ursprünglichem Pinselstrich und späterem Übermalen zu unterscheiden vermag. Das Ergebnis ist ein Werk, das weniger auf Provokation zielt als auf die stille, nachhaltige Berührung seiner Zuschauer.


DIE FARBEN DER ZEIT

Start: 14.08.25 | FSK 12
R: Cédric Klapisch | D: Suzanne Lindon, Abraham Wapler, Vincent Macaigne
Frankreich, Belgien 2025 | StudioCanal Deutschland


 


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