Scandar
Coptis „Happy Holidays“, der am 4. September in den Kinos
startet, verwebt intime Familiengeschichten mit subtilen politischen
Untertönen. Mit bestechender Nähe und eindringlichen Darstellungen
entsteht ein facettenreiches Porträt des Lebens in Haifa –
leise, vielschichtig und von nachhaltiger Kraft.
Am
4. September startet mit „Happy Holidays“ der zweite Spielfilm
des palästinensischen Regisseurs Scandar Copti in den deutschen
Kinos – ein Werk, das sich als kluge, fein austarierte Familienchronik
präsentiert und zugleich als schonungslose Milieustudie über
das Leben in Haifa, jener vielschichtigen Hafenstadt, in der jüdische
und arabische Identitäten untrennbar miteinander verwoben sind.
Copti, der bereits mit „Ajami“ (2009) internationale Aufmerksamkeit
erlangte, knüpft mit seinem neuen Film an seine Vorliebe für
Ensemble-Erzählungen an und formt aus den Blickwinkeln unterschiedlicher
Figuren ein Panorama, das Privates und Politisches unauflöslich
ineinander verschränkt. Im Zentrum der Handlung steht eine arabische
Familie, deren scheinbar banale Alltagskonflikte – ein Autounfall,
eine Schwangerschaft, eine drohende Schuldenfalle – nach und
nach aufbrechen und zu Spiegelbildern gesellschaftlicher Risse werden.
Copti zeigt dabei keine spektakulären Katastrophen, sondern die
stillen Verwerfungen des Lebens, die in ihrer Akkumulation umso bedrängender
wirken: Schweigen, Scham, Misstrauen und die permanent unterschwellige
Erfahrung von Diskriminierung bilden den Resonanzraum, in dem die
Figuren agieren. Stilistisch setzt Copti auf Intimität. Die Handkamera
von Tim Kuhn bleibt den Gesichtern nah, fängt flüchtige
Regungen, gezügelte Wut oder unausgesprochene Zweifel ein. Es
ist diese formale Nähe, die das Spiel der Schauspielerinnen und
Schauspieler – viele von ihnen Debütanten – so eindringlich
macht. In langen, dialogreichen Szenen wird der Zuschauer förmlich
Teil der familiären Dynamik: Das Zögern, die ständigen
Unterbrechungen, das schnelle Überlagern von Stimmen erzeugen
eine fast dokumentarische Unmittelbarkeit. Besonders eindrucksvoll
entfaltet sich dies in den verschiedenen Handlungssträngen: Rami,
der zwischen der Liebe zu seiner jüdischen Freundin Shirley und
den gesellschaftlichen Vorurteilen zerrieben wird; Mutter Hanan, die
als Familienoberhaupt mit eiserner Fürsorge und zugleich harscher
Strenge agiert; Tochter Fifi, die ihre eigene Unabhängigkeit
gegen die Erwartungen von Elternhaus und Liebhaber behaupten will.
Jede
Figur trägt dabei ihre eigenen Widersprüche in sich, die
Copti mit bemerkenswerter Ambivalenz herausarbeitet. Niemand ist hier
nur Opfer oder Täter, alle oszillieren zwischen Verletzlichkeit,
Trotz und Kompromiss. Doch „Happy Holidays“ ist nicht
allein ein Familiendrama, sondern auch eine subtile politische Allegorie.
Ohne plakative Kommentare oder explizite Anklagen zeigt der Film,
wie tief der Alltag arabischer Israelis von strukturellen Ungleichheiten
geprägt ist. Schulunterricht, militärische Rituale, Checkpoints
– sie sind im Hintergrund stets präsent, bestimmen die
Bedingungen, unter denen die Figuren leben und lieben. Dabei ist es
weniger die offene Konfrontation als vielmehr das schleichende Gift
der Normalität, das Copti sichtbar macht: ein permanentes Gefühl,
im eigenen Land zugleich zuhause und fremd zu sein. Seine besondere
Stärke gewinnt der Film aus den Momenten des Schweigens. Ob in
angespannten Blicken zwischen Geschwistern, in der resignierten Stille
der Mutter oder in der ungesagten Trauer über unerfüllte
Hoffnungen – Copti vertraut auf die Ausdruckskraft des Ungesagten.
„Happy Holidays“ ist damit nicht nur ein Film über
Familiengeheimnisse, sondern auch über gesellschaftliche Tabus
und über die Rollen, in die Menschen gedrängt werden. Dass
der Film trotz seiner Schwere auch Leichtigkeit kennt, liegt an der
fein dosierten Balance zwischen Ernst und Freude. Feste, Begegnungen
und kleine Gesten der Zuneigung durchziehen die Erzählung wie
helle Farbtupfer und erinnern daran, dass selbst in von Konflikten
durchzogenen Lebenswelten das Glück nicht gänzlich verschwindet.
Fazit:
Mit „Happy Holidays“ gelingt Scandar Copti ein bewegendes,
zugleich analytisch scharfes Werk, das individuelle Lebensgeschichten
mit kollektiven Realitäten verknüpft. Der Film verhandelt
Themen wie Geschlechterrollen, ethnische Zugehörigkeit und familiäre
Loyalität mit einer erzählerischen Dichte, die ihn weit
über das Genre des Familiendramas hinaushebt. Es ist ein Kino,
das nicht laut poltert, sondern beharrlich nachwirkt – ein bedeutender
Beitrag zur zeitgenössischen Filmkunst aus dem Nahen Osten.