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KINO | 03.09.2025

HAPPY HOLIDAYS

Scandar Coptis „Happy Holidays“, der am 4. September in den Kinos startet, verwebt intime Familiengeschichten mit subtilen politischen Untertönen. Mit bestechender Nähe und eindringlichen Darstellungen entsteht ein facettenreiches Porträt des Lebens in Haifa – leise, vielschichtig und von nachhaltiger Kraft.

von Richard-Heinrich Tarenz


© FRESCO FILMS - RED BALLOON FILM - TESSALIT PRODUCTIONS - INTRAMOVIES

Am 4. September startet mit „Happy Holidays“ der zweite Spielfilm des palästinensischen Regisseurs Scandar Copti in den deutschen Kinos – ein Werk, das sich als kluge, fein austarierte Familienchronik präsentiert und zugleich als schonungslose Milieustudie über das Leben in Haifa, jener vielschichtigen Hafenstadt, in der jüdische und arabische Identitäten untrennbar miteinander verwoben sind. Copti, der bereits mit „Ajami“ (2009) internationale Aufmerksamkeit erlangte, knüpft mit seinem neuen Film an seine Vorliebe für Ensemble-Erzählungen an und formt aus den Blickwinkeln unterschiedlicher Figuren ein Panorama, das Privates und Politisches unauflöslich ineinander verschränkt. Im Zentrum der Handlung steht eine arabische Familie, deren scheinbar banale Alltagskonflikte – ein Autounfall, eine Schwangerschaft, eine drohende Schuldenfalle – nach und nach aufbrechen und zu Spiegelbildern gesellschaftlicher Risse werden. Copti zeigt dabei keine spektakulären Katastrophen, sondern die stillen Verwerfungen des Lebens, die in ihrer Akkumulation umso bedrängender wirken: Schweigen, Scham, Misstrauen und die permanent unterschwellige Erfahrung von Diskriminierung bilden den Resonanzraum, in dem die Figuren agieren. Stilistisch setzt Copti auf Intimität. Die Handkamera von Tim Kuhn bleibt den Gesichtern nah, fängt flüchtige Regungen, gezügelte Wut oder unausgesprochene Zweifel ein. Es ist diese formale Nähe, die das Spiel der Schauspielerinnen und Schauspieler – viele von ihnen Debütanten – so eindringlich macht. In langen, dialogreichen Szenen wird der Zuschauer förmlich Teil der familiären Dynamik: Das Zögern, die ständigen Unterbrechungen, das schnelle Überlagern von Stimmen erzeugen eine fast dokumentarische Unmittelbarkeit. Besonders eindrucksvoll entfaltet sich dies in den verschiedenen Handlungssträngen: Rami, der zwischen der Liebe zu seiner jüdischen Freundin Shirley und den gesellschaftlichen Vorurteilen zerrieben wird; Mutter Hanan, die als Familienoberhaupt mit eiserner Fürsorge und zugleich harscher Strenge agiert; Tochter Fifi, die ihre eigene Unabhängigkeit gegen die Erwartungen von Elternhaus und Liebhaber behaupten will.


© FRESCO FILMS - RED BALLOON FILM - TESSALIT PRODUCTIONS - INTRAMOVIES

Jede Figur trägt dabei ihre eigenen Widersprüche in sich, die Copti mit bemerkenswerter Ambivalenz herausarbeitet. Niemand ist hier nur Opfer oder Täter, alle oszillieren zwischen Verletzlichkeit, Trotz und Kompromiss. Doch „Happy Holidays“ ist nicht allein ein Familiendrama, sondern auch eine subtile politische Allegorie. Ohne plakative Kommentare oder explizite Anklagen zeigt der Film, wie tief der Alltag arabischer Israelis von strukturellen Ungleichheiten geprägt ist. Schulunterricht, militärische Rituale, Checkpoints – sie sind im Hintergrund stets präsent, bestimmen die Bedingungen, unter denen die Figuren leben und lieben. Dabei ist es weniger die offene Konfrontation als vielmehr das schleichende Gift der Normalität, das Copti sichtbar macht: ein permanentes Gefühl, im eigenen Land zugleich zuhause und fremd zu sein. Seine besondere Stärke gewinnt der Film aus den Momenten des Schweigens. Ob in angespannten Blicken zwischen Geschwistern, in der resignierten Stille der Mutter oder in der ungesagten Trauer über unerfüllte Hoffnungen – Copti vertraut auf die Ausdruckskraft des Ungesagten. „Happy Holidays“ ist damit nicht nur ein Film über Familiengeheimnisse, sondern auch über gesellschaftliche Tabus und über die Rollen, in die Menschen gedrängt werden. Dass der Film trotz seiner Schwere auch Leichtigkeit kennt, liegt an der fein dosierten Balance zwischen Ernst und Freude. Feste, Begegnungen und kleine Gesten der Zuneigung durchziehen die Erzählung wie helle Farbtupfer und erinnern daran, dass selbst in von Konflikten durchzogenen Lebenswelten das Glück nicht gänzlich verschwindet.

Fazit:
Mit „Happy Holidays“ gelingt Scandar Copti ein bewegendes, zugleich analytisch scharfes Werk, das individuelle Lebensgeschichten mit kollektiven Realitäten verknüpft. Der Film verhandelt Themen wie Geschlechterrollen, ethnische Zugehörigkeit und familiäre Loyalität mit einer erzählerischen Dichte, die ihn weit über das Genre des Familiendramas hinaushebt. Es ist ein Kino, das nicht laut poltert, sondern beharrlich nachwirkt – ein bedeutender Beitrag zur zeitgenössischen Filmkunst aus dem Nahen Osten.


HAPPY HOLIDAYS

Start: 04.09.25 | FSK 12
R: Scandar Copti | D: Manar Shehab, Toufic Danial, Wafaa Aoun
Palästinia, Deutschland, Frankreich, Katar, Italien 2024 | IMMERGUTEFILME


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