FILME | SERIEN | MUSIK | BÜCHER | PANORAMA | INTERVIEWS


KINO | 03.09.2025

KUNG FU IN ROME

Yun ist weg! Die Suche nach ihrer Schwester führt die Chinesin Mei nach Italien in die Ewige Stadt, ins Casino „Città Proibita“. Das unehrenhafte Etablissement ist in der Hand chinesischer Gangster, die sich bei der Vermisstensuche wenig kooperativ zeigen. Schwerer Fehler, denn Mei wurde ihr Leben lang nach allen Regeln der Kunst in Kung Fu ausgebildet.

von Richard-Heinrich Tarenz


© DCM

Mit „Kung Fu in Rome“, der am 11. September in den deutschen Kinos startet, wagt sich Regisseur Gabriele Mainetti auf ein Terrain, das auf den ersten Blick wie eine kühne Hybrid-Idee wirkt: die Verschmelzung von klassischem Martial-Arts-Kino mit der filmischen Tradition des italienischen Melodrams und der römischen Stadterzählung. Was leicht als kurioses Genre-Experiment hätte enden können, entfaltet sich hier zu einem ebenso bildgewaltigen wie emotional vielschichtigen Werk, das die Erwartungen an einen Actionfilm souverän unterläuft. Der italienische Originaltitel „La Città Proibita“ verweist auf das multikulturelle Viertel Esquilino, unweit der Piazza Vittorio, das längst ein eigenes Narrativ innerhalb der römischen Urbanität darstellt. Hier siedelt Mainetti seine Geschichte an, die einerseits von der Härte eines Milieus erzählt, in dem Triaden Strukturen dominieren, andererseits aber auch von der Fragilität menschlicher Nähe. Schon diese geografische Verortung macht den Film besonders: Die Kamera erkundet die pulsierende Textur eines Stadtviertels, das vom Nebeneinander verschiedenster Kulturen lebt – und hebt es ins Poetische. Mainetti beginnt seinen Film mit einem fulminanten Versprechen: In einer mehr als zehnminütigen Eröffnungssequenz kämpft sich die Protagonistin Mei, gespielt von Yaxi Liu, durch ein Bordell und eine Restaurantküche. Die Choreografien – inszeniert unter der Leitung von Trayan Milenov-Troy, einem international renommierten Stuntkoordinator – vereinen Härte, Präzision und eine ironische Leichtigkeit, die an die großen Klassiker des Hongkong-Kinos erinnern. Dass diese Szenen nicht nur als Action-Setpieces funktionieren, sondern zugleich eine visuelle Einführung in die Figur der Mei darstellen, zeigt Mainettis Gespür für das Narrativ im Physischen: Jede Bewegung, jeder Schlag erzählt auch von ihrer Entschlossenheit, ihre Schwester wiederzufinden. So wuchtig und kompromisslos der Auftakt ist, so sehr öffnet sich der Film im weiteren Verlauf einer leisen, fast zärtlichen Dimension.


© DCM

Die Begegnung zwischen Mei und dem jungen Römer Marcello (Enrico Borello) folgt zunächst den Gesetzen des Gegensatzes: Sie die Fremde, wortlos, kompromisslos in ihrer Mission; er gefangen in familiären Brüchen und einem Gefühl der Entwurzelung. Doch gerade aus dieser Sprachlosigkeit erwächst eine unerwartete Nähe, die den Film über das Genre hinaushebt. Eine Vespa-Fahrt durch das nächtliche Rom wird dabei zur emblematischen Szene: Hier verbindet sich die physische Energie des Kung-Fu mit der melancholischen Schönheit einer Sommernacht in der Ewigen Stadt – eine Sequenz, die filmgeschichtlich fast wie eine ironische Spiegelung von William Wylers „Ein Herz und eine Krone“ wirkt. Mainetti, der mit „Freaks Out“ bereits internationale Beachtung fand, zeigt sich erneut als Regisseur, der Genres nicht kopiert, sondern transformiert. Der Actionfilm wird bei ihm nicht zum Selbstzweck, sondern zur Folie, auf der gesellschaftliche Konflikte sichtbar werden: Migration, Identität, familiäre Brüche. Die choreografierten Kämpfe sind von atemberaubender Präzision, doch ihre Seltenheit im über zweistündigen Film macht deutlich, dass es Mainetti um mehr geht: um Figuren, die sich annähern, verlieren und neu erfinden. Die Bildsprache trägt diese Ambivalenz. Mal inszeniert er Rom in glühenden Sommerfarben, mal in kaltem Neonlicht, das die Schattenseiten der Stadt offenbart. So entsteht ein Werk, das gleichermaßen atmet wie kämpft. Yaxi Liu, die zuvor als Stunt-Double in Disneys „Mulan“ tätig war, trägt den Film mit einer Präsenz, die weit über die Kampfkunst hinausreicht. Sie verkörpert Mei als Figur, die gleichzeitig verletzlich und unerschütterlich wirkt, und verleiht ihr eine emotionale Tiefe, die man in martialischen Rollen selten sieht. Enrico Borello findet als Marcello einen stillen, unaufdringlichen Ton, der der Härte der Action eine menschliche Wärme entgegensetzt. In Nebenrollen glänzen Shanshan Chunyu als ambivalenter Triaden-Boss und Sabrina Ferilli als Mutterfigur, die dem Drama eine zusätzliche Schicht familiärer Wunden verleiht. Am 11. September startet „Kung Fu in Rome“ in den deutschen Kinos – und dürfte sich als einer der ungewöhnlichsten, zugleich aber auch charmantesten Genrebeiträge des Jahres erweisen.


KUNG FU IN ROME

Start: 11.09.25 | FSK 16
R: Gabriele Mainetti | D: Yaxi Liu, Enrico Borello, Sabrina Ferilli
Italien 2005 | DCM Filmdistribution


 


AGB | IMPRESSUM