Francis
Lawrence wagt mit „The Long Walk – Todesmarsch“
die Verfilmung eines der düstersten Stoffe aus Stephen Kings
Frühwerk – und überrascht mit radikaler Schlichtheit.
Statt Spektakel gibt es endlose Landstraßen, erschöpfte
Körper und eine erschreckend realistische Allegorie auf Macht
und Militarismus. Ab dem 11. September im Kino – ein Film, der
verstört, fasziniert und vielleicht gerade deshalb im Gedächtnis
bleibt.
Wenn
am 11. September „The Long Walk – Todesmarsch“ in
die deutschen Kinos kommt, erwartet das Publikum kein gewöhnlicher
Genrefilm, sondern eine eindringliche Parabel auf Macht, Gewalt und
das Erwachsenwerden in einer totalitären Gesellschaft. Francis
Lawrence, bereits erfahren im dystopischen Erzählen durch seine
„Hunger Games“-Verfilmungen, zeigt hier eine radikal konzentrierte
Variation des Themas: ein Film, der fast ausschließlich aus
einer einzigen Bewegung besteht – dem Gehen – und doch
eine ungeheure erzählerische Dichte entfaltet. Basierend auf
Stephen Kings 1979 unter dem Pseudonym Richard Bachman veröffentlichter
Erzählung, verlegt Lawrence die Handlung in ein Amerika, das
wie ein verzerrtes Spiegelbild der Nach-Vietnam-Ära wirkt. Jedes
Jahr werden dutzende junge Männer per Lotterie in einen „Wettbewerb“
gezwungen, der nichts mit Sport zu tun hat: Ein Todesmarsch, bei dem
sie unaufhörlich gehen müssen, bis nur einer übrig
bleibt. Wer zu langsam wird, stehenbleibt oder abweicht, wird vor
aller Augen exekutiert. In dieser grausamen Versuchsanordnung, die
gleichzeitig Massenunterhaltung und Machtdemonstration ist, entfaltet
der Film seine Allegorie: Er erzählt von einem Staat, der seine
Jugend opfert, um seine Macht zu sichern, und von jungen Menschen,
die trotz aller Aussichtslosigkeit nach Sinn und Verbindung suchen.
Im Zentrum steht Ray Garraty (Cooper Hoffman), der von seiner Mutter
mit bangem Herzen zum Start gebracht wird. An seiner Seite treten
Figuren, die auf den ersten Blick wie Typen wirken – der freundliche
McVries (David Jonsson), der gläubige Arthur (Tut Nyuot), der
schnoddrige Hank (Ben Wang) – und doch im Laufe des Films an
Tiefe gewinnen. Die langen Dialoge während des Marsches, die
gemeinsamen Leiden und das gegenseitige Stützen machen aus ihnen
mehr als bloße Archetypen: Sie sind Spiegelungen unterschiedlicher
Haltungen zu Macht, Glaube, Rebellion und Hoffnung. Besonders die
Freundschaft zwischen Garraty und McVries erweist sich als Herzstück
des Films.
Aus
Kameradschaft erwächst eine philosophische Auseinandersetzung
darüber, wie man in einer Welt voller Willkür und Gewalt
Haltung bewahren kann. Hier zeigt sich die subtile Größe
von Lawrence’ Inszenierung: Der Todesmarsch wird zum Resonanzraum
existenzieller Fragen. Ein Film, dessen zentrales Handlungselement
das Gehen ist, droht schnell monoton zu werden. Doch Kameramann Jo
Willems und Lawrence begegnen dieser Gefahr mit außergewöhnlicher
visueller Kreativität. Fast jede Einstellung ist sorgfältig
komponiert, die Kamera bewegt sich meist rückwärts, frontal
auf die erschöpften Körper gerichtet, während die Landschaft
im Hintergrund vorbeizieht – ein filmisches Sinnbild für
das unaufhaltsame Fortschreiten in Richtung Untergang. Die Gewalt,
die in regelmäßigen Abständen über die Gruppe
hereinbricht, wird nicht effekthascherisch, sondern als unausweichliche
Konsequenz inszeniert. Schüsse, das Fallen der Körper, die
Reaktionen der Mitläufer: All das
verdeutlicht die Brutalität eines Systems, das mit mathematischer
Präzision tötet. „The Long Walk – Todesmarsch“
ist mehr als ein dystopischer Thriller. Der Film legt die Mechanismen
einer Gesellschaft offen, die Jugend und Leben der Spektakelökonomie
opfert. Die Fernsehübertragung des Marsches, die Uniformität
der Teilnehmer, die gnadenlose Präsenz des namenlosen Majors
(Mark Hamill): All dies verweist auf den Zusammenhang von Unterhaltung,
Militarismus und staatlicher Gewalt. Dass Lawrence sich dabei weniger
auf die äußere Welt als auf die innere Dynamik der Figuren
konzentriert, ist kein Mangel, sondern eine Stärke. Die dystopische
Realität bleibt schemenhaft, aber umso stärker tritt hervor,
wie Menschen inmitten totalitärer Strukturen reagieren: mit Widerstand,
mit Anpassung, mit Freundschaft, mit Verzweiflung. Cooper Hoffman
verleiht Garraty eine Mischung aus jugendlicher Offenheit und verborgener
Härte, die ihn zu einer ambivalenten Figur macht. David Jonsson
hingegen strahlt als McVries eine charismatische Menschlichkeit aus,
die dem Film seine emotionale Tiefe verleiht. Ihre Konstellation trägt
das Drama, ergänzt durch eine bemerkenswert vielfältige
Nebenbesetzung, die den Kosmos des Marsches zum Leben erweckt.
THE LONG WALK - TODESMARSCH
Start:
11.09.25 | FSK 16
R: Francis Lawrence | D: Cooper Hoffman, David Jonsson, Garrett
Wareing
USA 2025 | Leonine