FILME | SERIEN | MUSIK | BÜCHER | PANORAMA | INTERVIEWS


KINO | 13.08.2025

WEAPONS - DIE STUNDE DES VERSCHWINDENS

In der Kleinstadt Maybrook gerät das Leben der Bewohner in einer einzigen Nacht aus den Fugen: Punkt 2.17 Uhr verschwinden 17 Kinder einer Grundschulklasse spurlos. Die Lehrerin Justine Gandy steht schnell im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Was weiß sie? Steckt sie vielleicht sogar hinter den mysteriösen Vorkommnissen? Während die Eltern verzweifelt nach Antworten suchen, wird Justine schnell zum Sündenbock und zur Zielscheibe des öffentlichen Hasses.

von Richard-Heinrich Tarenz


© 2025 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.

Seit dem 7. August ist mit „Weapons – Die Stunde des Verschwindens“ ein Film im Kino zu sehen, der die Grenzen zwischen Thriller, Mystery und poetischem Märchen mit bemerkenswerter Selbstverständlichkeit verwischt. Zach Cregger, dessen „Barbarian“ bereits durch formale Kühnheit und genregeschicktes Spiel auffiel, entwirft hier ein Werk, das den Zuschauer in die sanft schimmernde Oberfläche einer amerikanischen Kleinstadt einführt – nur um sie mit präzisen Schnitten zu durchbrechen und den Blick auf die darunter liegenden Risse freizugeben. Die Prämisse ist von irritierender Schlichtheit: In einer einzigen Nacht verlassen siebzehn Kinder derselben Grundschulklasse – alle zur exakt gleichen Uhrzeit – ihre Betten und verschwinden spurlos. Die Inszenierung dieses Moments hat eine träumerische Leichtigkeit, die an die Bilderwelt von J. M. Barrie erinnert: ausgebreitete Arme, ein Lauf in die Nacht, als gäbe es ein unsichtbares Ziel jenseits der bekannten Welt. Doch dieses Bild, so verlockend es ist, bleibt nur das Vorspiel. Cregger nutzt die märchenhafte Anmutung, um den Zuschauer in Sicherheit zu wiegen, bevor er die Geschichte in eine beklemmende Vielschichtigkeit überführt. Im Zentrum der Erzählung steht Justine Gandy (Julia Garner), Lehrerin der Klasse, aus der sämtliche Kinder verschwunden sind – mit Ausnahme des introvertierten Alex. Ihre frühe Erkenntnis darüber macht sie nicht zur Retterin, sondern zum Sündenbock. Misstrauen, soziale Ächtung und öffentliche Demütigung zersetzen ihr Leben; die Kamera folgt ihr in eine existenzielle Isolation, die so greifbar ist wie die Stille ihrer leeren Wohnung. Doch „Weapons“ ist kein eindimensionales Porträt. Cregger wechselt die Perspektiven, verzahnt Justines Geschichte mit jener des verzweifelten Vaters Archer Graff (Josh Brolin), der unzählige Male das letzte Video seines wegrennenden Sohnes betrachtet, und mit weiteren Figuren, deren scheinbar beiläufige Momente sich später wie unverzichtbare Teile eines präzise konstruierten Rätsels erweisen.


© 2025 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.

Diese Mosaikstruktur – mit ihren Brüchen in Zeit und Blickrichtung – verleiht dem Film eine fast literarische Qualität, die von geduldiger Figurenzeichnung und stetig wachsender Beklemmung lebt. vStilistisch ist „Weapons“ ein Werk der kontrollierten Gegensätze: untergründige Wärme trifft auf kalte Boshaftigkeit, subtile Komik auf verstörende Stille. Anders als in „Barbarian“ ist der Schrecken hier vor allem ein Schrecken der Andeutung. Die wenigen gezielten Schockmomente wirken umso stärker, weil sie eingebettet sind in eine Atmosphäre aus unausgesprochenen Fragen und unterschwelliger Bedrohung. Cregger erlaubt sich, die Angst im Kopf des Zuschauers reifen zu lassen – und lässt sie erst spät, im letzten Drittel, zur vollen Entfaltung kommen. Das Finale, sorgfältig vorbereitet und dennoch von mythischer Wucht, offenbart die verborgenen Zusammenhänge mit einer Konsequenz, die nicht allein der Logik der Handlung folgt, sondern einer tieferen, fast archetypischen Ordnung. Dabei verliert der Film nie die Kontrolle über Ton und Rhythmus; selbst die erklärenden Passagen im Schlussakt wirken wie kalkulierte Schachzüge, die das Spiel zu einem entschiedenen Ende führen.

„Weapons – Die Stunde des Verschwindens“ ist weit mehr als ein weiterer „Horror-Twist“-Film. Es ist ein Werk, das den Zuschauer in die Rolle eines Mitforschers versetzt, ihn in fragmentierte Realitäten eintauchen lässt und ihm zugleich das Gefühl gibt, von eben diesem Blick ins Dunkel selbst erfasst zu werden. Herausragende Darstellerleistungen, die präzise orchestrierte Erzählstruktur und die souveräne stilistische Balance machen den Film zu einem der formal wie inhaltlich anspruchsvollsten Genrebeiträge des Jahres.


WEAPONS - DIE STUNDE DES VERSCHWINDENS

Start: 07.08.25 | FSK 16
R: Zach Cregger | D: Josh Brolin, Julia Garner, Alden Ehrenreich
USA 2025 | Warner Bros. GmbH


AGB | IMPRESSUM