In der
Kleinstadt Maybrook gerät das Leben der Bewohner in einer einzigen
Nacht aus den Fugen: Punkt 2.17 Uhr verschwinden 17 Kinder einer Grundschulklasse
spurlos. Die Lehrerin Justine Gandy steht schnell im Mittelpunkt der
Aufmerksamkeit. Was weiß sie? Steckt sie vielleicht sogar hinter
den mysteriösen Vorkommnissen? Während die Eltern verzweifelt
nach Antworten suchen, wird Justine schnell zum Sündenbock und
zur Zielscheibe des öffentlichen Hasses.
Seit
dem 7. August ist mit „Weapons – Die Stunde des Verschwindens“
ein Film im Kino zu sehen, der die Grenzen zwischen Thriller, Mystery
und poetischem Märchen mit bemerkenswerter Selbstverständlichkeit
verwischt. Zach Cregger, dessen „Barbarian“ bereits durch
formale Kühnheit und genregeschicktes Spiel auffiel, entwirft
hier ein Werk, das den Zuschauer in die sanft schimmernde Oberfläche
einer amerikanischen Kleinstadt einführt – nur um sie mit
präzisen Schnitten zu durchbrechen und den Blick auf die darunter
liegenden Risse freizugeben. Die Prämisse ist von irritierender
Schlichtheit: In einer einzigen Nacht verlassen siebzehn Kinder derselben
Grundschulklasse – alle zur exakt gleichen Uhrzeit – ihre
Betten und verschwinden spurlos. Die Inszenierung dieses Moments hat
eine träumerische Leichtigkeit, die an die Bilderwelt von J.
M. Barrie erinnert: ausgebreitete Arme, ein Lauf in die Nacht, als
gäbe es ein unsichtbares Ziel jenseits der bekannten Welt. Doch
dieses Bild, so verlockend es ist, bleibt nur das Vorspiel. Cregger
nutzt die märchenhafte Anmutung, um den Zuschauer in Sicherheit
zu wiegen, bevor er die Geschichte in eine beklemmende Vielschichtigkeit
überführt. Im Zentrum der Erzählung steht Justine Gandy
(Julia Garner), Lehrerin der Klasse, aus der sämtliche Kinder
verschwunden sind – mit Ausnahme des introvertierten Alex. Ihre
frühe Erkenntnis darüber macht sie nicht zur Retterin, sondern
zum Sündenbock. Misstrauen, soziale Ächtung und öffentliche
Demütigung zersetzen ihr Leben; die Kamera folgt ihr in eine
existenzielle Isolation, die so greifbar ist wie die Stille ihrer
leeren Wohnung. Doch „Weapons“ ist kein eindimensionales
Porträt. Cregger wechselt die Perspektiven, verzahnt Justines
Geschichte mit jener des verzweifelten Vaters Archer Graff (Josh Brolin),
der unzählige Male das letzte Video seines wegrennenden Sohnes
betrachtet, und mit weiteren Figuren, deren scheinbar beiläufige
Momente sich später wie unverzichtbare Teile eines präzise
konstruierten Rätsels erweisen.
Diese
Mosaikstruktur – mit ihren Brüchen in Zeit und Blickrichtung
– verleiht dem Film eine fast literarische Qualität, die
von geduldiger Figurenzeichnung und stetig wachsender Beklemmung lebt.
vStilistisch ist „Weapons“ ein Werk der kontrollierten
Gegensätze: untergründige Wärme trifft auf kalte Boshaftigkeit,
subtile Komik auf verstörende Stille. Anders als in „Barbarian“
ist der Schrecken hier vor allem ein Schrecken der Andeutung. Die
wenigen gezielten Schockmomente wirken umso stärker, weil sie
eingebettet sind in eine Atmosphäre aus unausgesprochenen Fragen
und unterschwelliger Bedrohung. Cregger erlaubt sich, die Angst im
Kopf des Zuschauers reifen zu lassen – und lässt sie erst
spät, im letzten Drittel, zur vollen Entfaltung kommen. Das Finale,
sorgfältig vorbereitet und dennoch von mythischer Wucht, offenbart
die verborgenen Zusammenhänge mit einer Konsequenz, die nicht
allein der Logik der Handlung folgt, sondern einer tieferen, fast
archetypischen Ordnung. Dabei verliert der Film nie die Kontrolle
über Ton und Rhythmus; selbst die erklärenden Passagen im
Schlussakt wirken wie kalkulierte Schachzüge, die das Spiel zu
einem entschiedenen Ende führen.
„Weapons – Die Stunde des Verschwindens“
ist weit mehr als ein weiterer „Horror-Twist“-Film. Es
ist ein Werk, das den Zuschauer in die Rolle eines Mitforschers versetzt,
ihn in fragmentierte Realitäten eintauchen lässt und ihm
zugleich das Gefühl gibt, von eben diesem Blick ins Dunkel selbst
erfasst zu werden. Herausragende Darstellerleistungen, die präzise
orchestrierte Erzählstruktur und die souveräne stilistische
Balance machen den Film zu einem der formal wie inhaltlich anspruchsvollsten
Genrebeiträge des Jahres.
WEAPONS - DIE STUNDE DES VERSCHWINDENS
Start:
07.08.25 | FSK 16
R: Zach Cregger | D: Josh Brolin, Julia Garner, Alden Ehrenreich
USA 2025 | Warner Bros. GmbH