POLITIK
| 10.09.2025
Eine
starke Stimme für Porz
Lena Dickgießer über Verantwortung, Vertrauen
und die Zukunft Kölns
Lena
Dickgießer, 34 Jahre alt und Arbeitsvermittlerin, kandidiert
am 13. September erstmals für den Kölner Stadtrat im Wahlkreis
Porz. Mit Themen wie bezahlbares Wohnen, gute Schulen, einem verlässlichen
ÖPNV und gesellschaftlichem Zusammenhalt möchte sie Politik
nahbar machen und den Menschen im Veedel konkrete Lösungen bieten.
Ihre Haltung ist geprägt von Berufserfahrung, Bodenständigkeit
und dem Anspruch, Politik als tägliches Versprechen für
mehr Teilhabe zu verstehen.
von
Richard-Heinrich Tarenz

©
Eve Pohl
Ein
Spätsommerabend in Porz: Zwischen Supermarkt und S-Bahn-Haltestelle
spürt man jene Mischung aus Bodenständigkeit und Vielfalt,
die das Veedel prägt – und die zugleich Bühne ist
für politische Fragen von ganz eigener Dringlichkeit. Hier tritt
Lena Dickgießer
an, 34 Jahre alt, Arbeitsvermittlerin und leidenschaftliche Sozialdemokratin.
Am 13. September kandidiert sie erstmals für den Kölner
Stadtrat, und wer ihr begegnet, merkt schnell: Diese Frau will keine
Distanz zwischen Politik und Alltag. „Ich nehme Sorgen, Ängste
und Nöte ernst – und weiß, wovon ich spreche, wenn
es um soziale Themen geht“, sagt sie, und in diesem Satz liegt
der Ernst einer Berufserfahrung, die ihr politisches Selbstverständnis
trägt.
Ihre Themen sind konkrete Lebensfragen: bezahlbares
Wohnen, gute Schulen, ein verlässlicher öffentlicher Nahverkehr.
Aber Lena Dickgießer belässt es nicht bei Parolen. „Für
mich ist Infrastruktur kein Selbstzweck, sondern die Voraussetzung
dafür, dass alle Menschen an dieser Stadt teilhaben können“,
betont sie. Das klingt nüchtern – und ist doch von Leidenschaft
durchzogen, die den Wunsch verrät, Politik nicht als abstraktes
Konzept, sondern als tägliches Versprechen einzulösen.
Gleichzeitig verkörpert Lena Dickgießer
jene Generation junger Frauen, die in einer noch immer männlich
dominierten politischen Landschaft neue Akzente setzt. Ihre Haltung
ist klar, ihr Ton ruhig, aber bestimmt. „Ich will den Menschen
im Veedel zuhören und die Dinge anpacken, die direkt vor ihrer
Haustür liegen“, erklärt sie – und formuliert
damit nicht weniger als ein Gegenmodell zu einer Politik, die allzu
oft im Theoretischen verharrt.
In diesem Gespräch entsteht das Bild einer
Kandidatin, die in Porz verwurzelt ist, aber weit über Porz hinausdenkt.
„Politik muss nahbar sein – nur dann kann sie Vertrauen
schaffen“, sagt Lena Dickgießer. Ein Satz, der wie eine
Leitlinie über ihrer Kandidatur steht. Und einer, der ahnen lässt:
Wenn sie im September gewählt wird, könnte Köln im
Stadtrat eine neue Stimme gewinnen, eine Stimme, die mit Nachdruck
gehört werden will.
Frau Dickgießer, Sie treten erstmals
für den Stadtrat an – ein Schritt aus der alltäglichen
Begegnung mit Menschen in schwierigen Lebenslagen hinein in das politische
Entscheidungsfeld. War dieser Übergang für Sie eine logische
Konsequenz oder vielmehr ein Sprung ins Ungewisse?
Lena
Dickgießer: Ja, ich glaube schon, dass es für
mich die logische Konsequenz war. Nicht nur, dass ich mich im Studium
mit politischen Theorien beschäftigt habe. Ich habe mit auch
mit geschichtlichen Abläufen und mit den Fragen wo wir als Land
herkommen und wohin wir als Gesellschaft gehen wollen, beschäftigt.
Je mehr man dann im Berufsleben steht und sich dann, so wie ich, einem
sozialen Beruf zuwendet, desto mehr merkt man, an welchen Ecken es
hapert, wo gesellschaftliche Konflikte entstehen. Durch das Erstarken
von extremistischen Ausrichtungen, gerade auf der rechten Seite, hatte
ich das Gefühl, dass wir uns als Gesellschaft in eine Richtung
entwickeln, wo soziale Gerechtigkeit, gesellschaftlicher Zusammenhalt
und Umverteilungsfragen, immer wichtiger werden. Das sind Inhalte,
die für die SPD, die Partei in der ich aktiv geworden bin, relevant
sind. Mit dem Umstand, diese Probleme auf eine sozialdemokratische
Art und Weise zu lösen, hat mich angesprochen. Dort fühle
ich mich politisch wohl. Es ist für mich ein logischer Schritt,
für diese Partei, für die mich seit 9 Jahren engagiere,
für ein ehrenamtliches politisches Amt zu kandieren. Ich will
Verantwortung übernehmen.
Ihr Wahlkreis umfasst Urbach, Elsdorf
sowie Teile von Grengel und Eil – Veedel, die nicht nur strukturell,
sondern auch sozial sehr verschieden geprägt sind. Wie wollen
Sie aus diesem Mosaik eine gemeinsame politische Erzählung formen?
Lena
Dickgießer: Ich glaube, dass es vor allem eine längere
Erzählung braucht und dass man da nicht zu kurz greifen darf.
Vor Ort merkt man in den Vierteln wie groß die Unzufriedenheit
ist, wie sehr man sich mittlerweile oft abgehängt fühlt.
Entscheidungen, die in Köln getroffen werden, wobei Köln
für viele Porzer immer noch sehr weit weg klingt, an den Menschen
dort vor Ort oftmals vorbeigehen. Dabei geht es nicht nur darum, dass
in den Vierteln Personen gibt, die sozial benachteiligt sind, die
eher weniger Teil haben an Gesellschaft, die wenig von der Kommunalpolitik
mitbekommen, sondern es geht da eben auch um die Schichten, die sich
auch in Vereinen engagieren, die arbeiten gehen, die versuchen, die
Gesellschaft aufrechtzuerhalten. Man merkt einfach, dass man an ganz
vielen unterschiedlichen Punkten ansetzen muss. Dieses Mosaik zusammenzuführen,
das ist wahnsinnig viel Arbeit. Ich möchte das versuchen, indem
ich nicht nur hinkomme und meine Ideen mitbringe, die ich natürlich
habe. Vielmehr glaube ich, dass wir vor allem versuchen müssen,
die Leute, die sich engagieren wollen, an einen Tisch zu bekommen,
indem man als Kommunalpolitikerin hinkommt und erstmal zuhört.
Erstmal zuhört, auch wenn man weiß oder vermutet und mitbekommen
hat, was die Probleme sind. Schon jetzt halte ich diesen Austausch
wahnsinnig wertvoll. Erstmal zuhören, das mitnehmen und dann
in den Austausch zu gehen mit den aktiven Akteuren. Die Menschen,
die nicht so stark in der Öffentlichkeit stattfinden, zu erreichen,
wird immer noch viel schwieriger. Das alles zusammenzuführen
ist schwierig. Ich glaube, man muss sich da auch mit den Multiplikatoren
gut austauschen, wie mit den Jugendzentren. Dort hin haben wir gute
Verbindungen hin, dort findet der Austausch statt.
In Ihrer Arbeit als Arbeitsvermittlerin
begegnen Sie täglich Menschen zwischen Hoffnung und Enttäuschung.
Welche Einsichten aus diesen Gesprächen prägen Ihr Verständnis
davon, was Politik leisten muss – und was sie niemals versprechen
sollte?
Lena
Dickgießer: Das was man auch in den Gesprächen
am Wahlkampfstand hört und dass man natürlich auch in den
Gesprächen mitbekommt, wenn Menschen zu einem kommen, die in
einer gewissen Abhängigkeit stehen, ist immer der Punkt Vertrauen.
Vertrauen schaffen. Wenn Vertrauen einmal verletzt wurde, ist es da
wie im Privaten und im Familiären, sehr schwierig, das Vertrauen
wiederherzustellen. Das ist etwas, was man leisten muss, dass die
Menschen einem vertrauen. Was man nicht tun sollte, ist über
die Köpfe der Menschen hinweg zu entscheiden. Vielmehr muss man
ihnen auf Augenhöhe begegnen. Es ist schwierig, auch als Kommunalpolitikerin,
Menschen auf Augenhöhe zu begegnen, weil viele Leute denken,
dass da jetzt jemand kommt, der viel mehr Macht hat als ich. Jemand,
der von irgendwoher kommt und für mich etwas entscheidet. Das
merke ich auch als Arbeitsvermittlerin. Man begegnet sich erstmal
nicht auf Augenhöhe. Die Menschen stehen in einer Abhängigkeit
und erwarten etwas und das tun sie nicht ohne Grund. Und an dieser
Stelle den Menschen ernst nehmen, Vertrauen schaffen und eben auf
Augenhöhe mit einer empathischen Art unterwegs sein.
©
Eve Pohl
„Soziale
Gerechtigkeit“ ist ein oft bemühter, aber selten greifbarer
Begriff. Wenn Sie ihn aus der Perspektive Ihres Berufslebens deuten:
Welche Gerechtigkeit schulden wir den Menschen in Köln wirklich?
Lena
Dickgießer: Dass wir auf den Einzelnen schauen. Ich
glaube, man ist immer versucht, auch in der Politik, Menschen in Gruppen
zusammenzufassen und zu glauben, wenn sie einer bestimmten Gruppe
zugehören, dann werden sie ja schon dieselben Bedürfnisse
haben. Und wenn man dann da etwas tut, dann werden schon alle zufrieden
sein. Das schafft man nicht bei einer Million. Es ist ganz logisch,
dass man versucht irgendwie zusammenzufassen und zu schauen, wo man
den größten gemeinsamen Nenner findet. Und bezogen auf
die Chancen-Gerechtigkeit vor allem, dass man sich wirklich den Einzelfall
anschaut und danach auch entscheidet. Ich glaube, das kann dann der
Maßstab des Handelns sein, zumindest der Maßstab, der
an meine Arbeit bisher immer gerichtet wurde. Und das das finde ich
ist sehr wichtig. Natürlich kann jemand, der sich mit Bildungspolitik
beschäftigt, nicht dafür sorgen im Stadtrat, dass jedes
einzelne Kind so gefördert wird, wie es für richtig erachtet
wird. Aber ein Angebot zu schaffen, dass sich dieser Situation annimmt,
das ist das, was man tun kann. Und da ist die Auflösung des dreigliedrigen
Schulsystems meiner Meinung nach etwas, was ein großer Schritt
nach vorne wäre.
Junge Frauen in der Politik tragen
häufig die doppelte Bürde, sich in männlich geprägten
Strukturen zu behaupten und zugleich Erwartungen an „neue Stimmen“
zu erfüllen. Wie gehen Sie mit diesem Spannungsfeld um?
Lena Dickgießer: Ich
glaube, man sucht immer ein bisschen nach Vorbildern und orientiert
sich an starken Frauen. Da habe ich eine Annemarie Renger im Kopf.
Eine Frau, die in unserer Demokratie sehr früh eine wirklich
tragende Rolle übernommen hat. Sie wird bestimmt auch nicht alles
richtig gemacht haben und auch sie war dem Spott von Männern
ausgesetzt. Man muss irgendwann ein dickes Fell entwickeln. Auf der
einen Seite gegenüber denen, die dann mit irgendwelchen Sprüchen
kommen, die sich meistens nicht darum drehen, was man wirklich macht,
sondern banale Dinge, wie das Aussehen zum Inhalt haben. Auf der anderen
Seite ist es so, und ich habe es auch erlebt, dass wenn eine junge
Frau zu uns in die Partei kommt, ich versuche, schützend meine
Hand über sie zu halten, wenn Quotenanforderungen usw. auf sie
niederprasseln und sie sich dann denkt, oh Gott, ich muss ganz schnell
wieder weg, weil hier auf einmal Erwartungen auf mich zu kommen, die
ich nicht erfüllen kann. Ich finde Frauenquoten wichtig. Es ist
jedoch nicht zwingend erforderlich, Frauen in eine Verantwortung zu
drängen, die sich auf dieser Quote begründet. Wenn ich einer
Frau sagen müsste, du musst jetzt aber hier kandidieren, obwohl
sie es nicht will, weil wir eine Quote erfüllen müssen,
dann würde ich mich als Frau schlecht fühlen. Ich weiß,
das ist ein umstrittenes Thema bei uns in der Partei ist, weil es
ja auch immer um Sichtbarkeit geht. Ich kann da nur für mich
sprechen. Ich hoffe, ich kann für die nächste Generation
ein gutes Vorbild sein und finde es wichtig, junge Frauen mit Mentoring
Gedanken an die Hand zu nehmen und sie davor zu bewahren, knallhart
in ein Haifischbecken geworfen zu werden.
Sie sprechen von bezahlbarem Wohnen,
guten Schulen und einem verlässlichen ÖPNV. Würden
Sie sagen, dass eines dieser Themen das „Herzstück“
Ihrer Kandidatur bildet – und wenn ja, welches ist das Herz,
das Porz heute am dringendsten braucht?
Lena Dickgießer: Ich
glaube, wenn man Porz wirklich verändern will und viele Punkte
angehen will, dann ist ÖPNV, Infrastruktur und das Thema Verkehr
wirklich zentral. Es strahlt in ganz viele Bereiche aus und verbindet
ja viele Themen miteinander. Wir wissen, dass bezahlbarer Wohnraum
sehr wichtig ist, aber gerade in Porz merken wir, wir können
nicht einfach Neubaugebiete hochziehen an Stellen, wo kein ÖPNV
ist, wo Straßenstruktur erst geschaffen werden muss, wo es keine
Supermärkte gibt. Und vielleicht ist da Porz ein Paradebeispiel.
Deswegen glaube ich, dass der Verkehr in Porz das wichtigste Thema
ist. Hier sind immer noch sehr viele Leute aufs Auto angewiesen sind.
Das bringt strukturelle Notwendigkeiten mit sich, die z.B. Flächen
benötigen. Das fängt bei Parkflächen an und hört
bei Straßen auf. Nur dass wir uns trotzdem in eine Richtung
bewegen, Fläche wird auch in Porz weniger. Es ist zwar Peripherie,
in der Stadt gibt's noch ganz andere Flächenprobleme, das weiß
ich. Ich glaube, in den nächsten 10 Jahren wird Verkehr das wichtigste
Thema in Porz sein. Wenn wir es nicht schaffen, den ÖPNV nicht
nur verlässlich zu gestalten, sondern strukturell auszubauen,
mit einer Ringbahnlinie 13, mit der Verlängerung der Linie 7,
mit mehr Busanbindung, mit der wirklichen Ausweitung von einem Netz,
dass Menschen einfachere Wege zu Busverbindungen haben, auch an die
S-Bahnverbindung in Porz, dann werden wir es niemals schaffen, Autos
in einen Rahmen zu bekommen, dass wir dann nicht mehr diese meiner
Meinung nach nutzlosen Flächen haben, weil wir immer von Verdichtung
reden und Parkfläche ist für mich verdichtete Fläche.
Dieser Umstand spielt da meiner Meinung nach am wichtig mit rein.
Auch wenn Wohnen das wichtigste Thema ist, es wird viel gebaut in
Porz, bezahlbar ist es da bestimmt noch lange nicht. Für mich
hängt beides miteinander zusammen. Man kann es unter dem Begriff
Stadtentwicklung zusammenfassen, ganz platt gesagt, vielleicht auch
Strukturentwicklung im Viertel. Ich glaube, das ist ein guter Oberbegriff
und da ist Verkehr meiner Meinung nach das der wichtigste Punkt, der
auch in die Bereiche Bildung und Schule ausstrahlt.
Köln wächst, und Porz spürt
die Brüche dieses Wachstums: soziale Spaltung, kulturelle Vielfalt,
ökonomischen Druck. Was ist Ihre Vision, um aus dieser Gemengelage
kein Nebeneinander, sondern ein Miteinander entstehen zu lassen?
Lena Dickgießer: Ich
glaube, er wird sehr wichtig sein wird, dass man eben die Verbindung
hinbekommt, dass Köln und auch der Kölner Stadtrat nicht
so ein weit entferntes Konstrukt sind, sondern man den Porzern und
Porzerinnen vermitteln kann, dass sie ein Teil der Stadt sind. Wir
funktionieren nicht nur am Rande mit, sondern wir sind Teil dessen
und wir haben auch Menschen, die setzen sich als Teil dessen dafür
ein. Und Wissen um diese Gemengelage, Wissen um die vielfältigen
Probleme. Auf der anderen Seite eben das nicht nebeneinander her,
sondern zusammen, dass man dann eben auch mal über die Stadtbezirksgrenzen
schaut und erkennt, wir haben auch in Kalk ähnliche Strukturen.
Wir haben ähnliche Probleme und vielleicht macht es macht es
da Sinn, sich noch mal auszutauschen, Kontakte zu haben, um eben auch
gemeinschaftlich solche Probleme anzugehen. Ich glaube, diese Gemengelage,
die in Porz immer als einmalig beschrieben wird, trifft gar nicht
so einmalig zu. Vielmehr trifft sie auf einige Randbezirke von anderen
Großstädten zu und ich glaube, dass man das ernst nehmen
muss. Man muss den Menschen in Porz vermitteln, dass es Lösungen
gibt für diese Probleme und dass es vor allem um die Menschen
vor Ort geht und um die Menschensind, die bereits sind, sich in den
Stadtrat wählen zu lassen, die bereit sind, da eine starke Stimme
zu sein für Porz, aber eben auch sagen, wir können uns nicht
immer separieren.
©
Eve Pohl
Beruf,
Wahlkampf und Privatleben zugleich zu tragen, gleicht einem Balanceakt
auf dünnem Seil. Was ist Ihre persönliche Ressource, die
Sie aufrecht hält, wenn die Tage zu kurz und die Erwartungen
zu groß erscheinen?
Lena Dickgießer:
Auf jeden Fall das persönliche Umfeld, sprich Familie, Freunde,
und der Partner. Ich glaube, man weiß die Zeit dann noch mehr
zu schätzen, die man miteinander hat. Jetzt gerade ist der Peak
im Wahlkampf. Eine Zeit, wo es sehr viel ist. Trotzdem versuche ich,
im Kleinen einfach diese Momente zu haben und wenn es nur ein gemeinsamer
Kaffee mit einer Freundin ist, für ein, zwei Stunden rauszukommen.
Diese Zeit nehme ich mir, um wieder Ressourcen für den Wahlkampf
zu haben und wieder die Batterien aufzuladen. Wahlkämpfe sind
immer auch schon in der Realität, manchmal voller Begeisterung,
manchmal voller Ernüchterung.
Wahlkämpfe sind Schulen der Realität
– manchmal voller Begeisterung, manchmal voller Ernüchterung.
Was hat Sie in dieser Zeit mehr überrascht: die Zustimmung der
Menschen oder die Widerstände, auf die Sie stoßen?
Lena Dickgießer: Die
Zustimmung hat mich in der Hinsicht nicht überrascht, denn ich
glaube, dass wir für die Menschen ein gutes Angebot haben, dass
die Menschen es wertschätzen, dass man mit realistischen Vorstellungen
und mit keiner WÜNSCHDIRWAS - Überraschungskiste um die
Ecke kommt. Deswegen hat mich die Zustimmung nicht überrascht.
Was mich überrascht hat, war die persönliche Zustimmung.
Man hat gemerkt, dass die Leute wissen um was es bei dieser Wahl geht.
Es sind eben nicht Menschen, die vor sich hinleben. Es sind Menschen,
die damit beschäftigen, was in ihrer Stadt passiert. Diese Menschen
wissen um die Probleme und haben vielleicht nur manchmal eben nicht
die Zeit oder auch nicht die Ressourcen, um sich dann da einfach selbst
einzubringen. Das hat mich wirklich positiv überrascht. Das Positive,
was ich mitnehme, ist wirklich dieses Persönliche, dass die Menschen
sehr gut entscheiden können, wer sie vertreten soll.
Kommunalpolitik bedeutet fast immer
Kompromiss. Wo sehen Sie Ihre persönliche „rote Linie“
– den Punkt, an dem Pragmatismus zur Selbstverleugnung würde?
Lena Dickgießer: Ich
habe ich habe mich immer als jemand gesehen, der sehr pragmatisch
ist bei politischen Sachverhalten. Ich kann mir den schönsten
Antrag ausdenken und formulieren kann. Wenn er dann in der großen
Runde in die Abstimmung geht und einfach deswegen scheitert, weil
es bei den anderen zu 0 % auf Akzeptanz stößt, dann ist
dieses ganze Vorarbeiten nichts wert. Das bedeutet natürlich
nicht, dass ich meine Leitlinien aufgeben muss, was meine Werte und
meine Inhalte betrifft. Aber ich muss versuchen, um einen Konsens
zu werben und nicht nur eine Minimalforderung durchzusetzen, sondern
auf der anderen Seite eben auch guten Gewissens sagen zu können,
ich habe hier im Sinne dessen, was ich für richtig halte etwas
bewegt. Das ist zumindest für mich immer ein Spagat. Ich messe
mein politisches Engagement daran, was ich erreicht habe, was ich
umgesetzt habe. Pragmatismus ist dabei die Leitlinie. Ich muss meine
politischen Entscheidungen immer an der Realität und an der Umsetzung
messen, die teilweise dann auch nicht mehr in unserer Hand liegt.
Das ist ja manchmal auch das Frustrierende am politischen Geschäft.
Wenn wir nachhalten, zum Beispiel in der Bezirksvertretung, was mit
unseren Anträgen, die wir so über das Jahr über die
Legislaturperiode hinweg stellen, passiert, könnten wir, eine
Vollzeitkraft damit beschäftigen, einfach nur nachzuhalten, was
mit unseren beschlossenen Anträgen passiert ist. Die Stadtverwaltung
ist dann natürlich daran beteiligt, wir geben das dann das, was
wir beschlossen haben, in der Umsetzung aus der Hand. Deswegen ist
wichtig da realistisch zu sein und gleichzeitig viel mehr dahinter
her zu sein, was die Umsetzung von politischen Beschlüssen betrifft,
als allein nur immer wieder neue Anträge zu produzieren, die
im Zweifel dann doch für die Papiertonne sind.
Welche Erfahrungen oder Überzeugungen
würden Sie einem jungen Menschen mitgeben, der vor der Entscheidung
steht, ob er sich aktiv politisch engagieren soll?
Lena Dickgießer: Ich
finde es ist schwierig zu sagen, engagier dich in einer Partei. Ich
würde ihm erstmal raten, sprich mit deinen Freunden drüber,
was euch gerade bewegt. Eigentlich passiert das automatisch in der
Schule. Und ja, versucht zu schauen, wo es eine Jugendorganisation
gibt, die für dich Anknüpfungspunkte hat und wo es weitere
Informationen dazu gibt. Ich würde dem jungen Menschen raten,
nicht sofort in eine Partei zu gehen, sondern sich so breit wie möglich
zu informieren, auch die sozialen Medien. Wir unterschätzen junge
Menschen wahnsinnig darin, was ihre Medienkompetenz anbelangt. Wir
müssen ihnen zugestehen, dass sie eben nicht nur einfach Medieninhalte
konsumieren, sondern kritisch darüber nachdenken, was sie dort
sehen. Ich glaube, vieles, was da passiert, passiert einfach aus einer
Dynamik heraus, die sich in Gruppen entwickelt. Aber wenn sich die
einzelne Person informiert, ist sie durchaus in der Lage, sich dort
so ausreichend zu informieren, dass sie für sich entscheiden
kann, wie ihr politisches Engagement aussehen kann. Es ist ein klein
wenig unser Problem als Parteien, dass wir glauben, uns fehlt noch
dieser Punkt und jener Punkt, um die Menschen in ihrem Alltag zu erreichen.
Es reicht eben nicht, wenn wir im Wahlkampf sagen, dass wie Wahlen
sind und sie uns wählen sollen. Die Demokratie und die Parteien
leben von Menschen, die aktiv sind. Ich würde mich wünschen,
dass auch meine Partei überlegt, wie wir junge Menschen Politik
begeistern. Wie können wir unserem grundgesetzlichen Auftrag,
zur politischen Meinungsbildung beizutragen, in einer politischen
Landschaft behalten, die vielfältig und divers ist?
Stellen Sie sich vor, wir führen
dieses Gespräch im Jahr 2035 erneut: Woran würden Sie erkennen,
dass Ihr Einsatz sich gelohnt hat – nicht nur für Ihre
Wählerinnen und Wähler, sondern auch für Ihr eigenes
Verständnis von politischem Sinn?
Lena Dickgießer: Ich
habe was bewegt in meiner Stadt. Wenn für mich in 10 Jahren deutlich
werden würde, dass sich in dieser Hinsicht Köln positiv
entwickelt hat. Dass die Menschen, die heute in der Stadt leben, immer
noch in der Stadt leben und leben wollen und leben können und
damit meine ich nicht nur die, die es gut haben in Köln, sondern
eben vor allem jene Menschen, die sich in 10 Jahren sonst nicht mehr
die Miete leisten können. Menschen, die aus der Innenstadt verdrängt
werden, weil sie große Probleme haben, und dass Köln nicht
nur denen gehört, die genug Geld haben, die genug Substanz haben
in ihrem Leben. Es ist ein Ziel, wenn in 10 Jahren jeder seinen Platz
in Köln hat, egal welchem Beruf er nachgeht, egal wie viel er
am Monatsende verdient und dass auch die, die weniger haben, immer
noch einen Platz bei uns in der Stadt haben.
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