Thibaut
ist ein berühmter Dirigent, der die Konzertsäle der ganzen
Welt bereist. In der Mitte seines Lebens erfährt er, dass er
adoptiert wurde und dass er auch einen jüngeren Bruder hat, Jimmy,
der in einer Schulküche arbeitet und Posaune in der Blaskapelle
einer Arbeiterstadt spielt. Die beiden Brüder könnten unterschiedlicher
nicht sein. Nur in einer Sache sind sie sich einig: ihrer Liebe zur
Musik.
Der gefeierte Dirigent Thibaut (Benjamin Lavernhe)
ist an Leukämie erkrankt und braucht einen Knochenmarkspender.
Als er erfährt, dass er adoptiert wurde, begibt er sich auf die
Suche nach Familienangehörigen, die ihm helfen könnten.
Und tatsächlich findet er einen älteren Bruder, der Musiker
und Fabrikarbeiter ist. Ihr Wiedersehen ist der Beginn einer brüderlichen
und musikalischen Reise inmitten der Fabrikschließung der Stadt.
Emmanuel Courcols jüngster Film, "Die
leisen und die großen Töne", der nun auch für
das Heimkino erhältlich ist, erweist sich als eine warmherzige
Tragikomödie, die gekonnt die vermeintlichen Gegensätze
von tragischem Schicksal und unerwarteten Glücksmomenten miteinander
verwebt. Der französische Filmemacher, bekannt für seine
feinsinnigen Erzählungen, kreiert ein Werk, das den Zuschauer
mit seiner emotionalen Tiefe und seinem unkonventionellen Humor berührt
und nachdenklich stimmt. Der Film etabliert zunächst ein beklemmendes
Leukämie-Drama um Thibaut, einen weltberühmten Dirigenten,
dessen Leben jäh aus den Fugen gerät. Ein dramatischer Zusammenbruch
während einer Probe markiert den Wendepunkt. Doch anstatt das
Drama zu einer konventionellen Rettungsgeschichte durch den bis dato
unbekannten Bruder Jimmy zu führen, wählt Courcol einen
mutigen, unkonventionellen Ansatz. Die erfolgreiche Knochenmarkspende,
die Jimmy nach kurzem Zögern vollzieht, dient lediglich als Katalysator
für die Zusammenführung der ungleichen Geschwister. Dieses
zentrale Ereignis wird überraschend knapp, beinahe beiläufig
abgehandelt, was dem Film eine erfrischende Distanz zu gängigen
Klischees verleiht. Ein kurzer, gestenreicher Moment im Krankenhaus
genügt, um die Weichen für die eigentliche Erzählung
zu stellen. Courcol verzichtet darauf, das Aufeinandertreffen des
gefeierten Maestro mit einer Gruppe fast entlassener Laienmusiker,
die größtenteils in derselben Fabrik wie Jimmy arbeiten,
zu einem vorhersehbaren Spektakel des Aufeinanderprallens von Profession
und Amateurismus verkommen zu lassen. Stattdessen schöpft der
Film seine besten humoristischen Momente aus den kleinen Eitelkeiten
und Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Hobbytruppe. Benjamin
Lavernhes subtile Mimik als Thibaut lässt das innere Leiden des
Vollblutmusikers erahnen, wenn die Trompeter die Halbtöne verfehlen
– ein Genuss für den Zuschauer, der die leisen Töne
des Humors zu schätzen weiß. Das Drehbuch, das Courcol
gemeinsam mit Khaled Amara und Irène Muscari verfasst hat,
lässt die Weltbilder der aus verschiedenen Milieus stammenden
Brüder aufeinanderprallen.
Die
schwere Erkrankung Thibauts, mit der er auf bemerkenswert selbstironische
Weise umgeht, scheint ihn in der Folge kaum zu belasten. Dies mag
auf den ersten Blick die Glaubwürdigkeit seines Schicksals untergraben,
doch es dient einem höheren Zweck: Es lenkt den Fokus auf die
spannende Frage, ob musikalisches Talent in den Genen liegen kann.
Thibaut ist jedenfalls angesichts von Jimmys Gehör fest davon
überzeugt, was zu reizvollen Reibereien führt. Die quirlige
Sabrina, die in Jimmy mehr sieht als nur den Kantinenmitarbeiter,
fungiert als treibende Kraft und versucht ihn immer wieder in die
richtige Richtung zu schubsen. Ihre Dynamik belebt die Handlung und
fügt eine weitere Ebene der Menschlichkeit hinzu. Erzählerisch
beschreitet "Die leisen und die großen Töne"
eigenwillige Pfade. Nach dem ungewöhnlichen Auftakt orientiert
sich der Film lange an einer klassischen Musik- und Sportfilm-Dramaturgie.
Die anstrengenden Proben steuern schnörkellos auf einen abschließenden
großen Wettbewerb zu. Doch ehe der Auftritt von Jimmys Hobbytruppe
mit einer Performance des weltberühmten Triumphmarsches aus Verdis
"Aida" so richtig beginnt, wird das Geschehen auf herrlich
absurde Weise unterbrochen, als sich die Bands in die Haare kriegen.
Dieser
unerwartete Moment, durchsetzt mit Slapstick-Elementen, verleiht dem
Film eine erfrischende Unberechenbarkeit und dämpft Jimmys "From-Zero-To-Hero"-Ambitionen
auf eine Weise, die man nicht erwartet hätte. Im dritten Akt
überrascht der Film mit einer rührenden Brudersequenz am
Meer, die den Zuschauer ohne Vorwarnung auf den Boden der Tatsachen
zurückholt, just wenn man sich in einem harmlosen Happy End wähnt.
Dieses Crescendo an Emotionen bereitet den Weg für den zu erwartenden,
abschließenden Wohlfühlmoment im Konzertsaal. Auch wenn
dieses Finale ein Zugeständnis an das Publikum darstellt, das
primär unbeschwerte Unterhaltung sucht, mindert es nicht die
Gesamtqualität des Films. Es ist ein wohlverdientes, emotionales
Highlight, das die vorhergehenden unkonventionellen Pfade stimmig
abschließt. "Die leisen und die großen Töne"
ist eine sehenswerte, einfühlsame Parabel auf den Wert der Versöhnung
in einer sozial gespaltenen Gesellschaft. Emmanuel Courcol gelingt
es, eine Geschichte zu erzählen, die über die reine Unterhaltung
hinausgeht und eine tiefere Botschaft über Familie, Talent und
die Verbindung zwischen ungleichen Menschen vermittelt. Der Film beweist,
dass Tragik und Komik Hand in Hand gehen können und dass wahre
Harmonie oft in den unerwartetsten Begegnungen gefunden wird. Wer
nach einem Film sucht, der das Herz wärmt und gleichzeitig zum
Nachdenken anregt, sollte sich "Die leisen und die großen
Töne" unbedingt ansehen, der nun auch für das Heimkino
erhältlich ist.
DIE LEISEN UND DIE GROSSEN TÖNE
ET:
28.05.25: DVD, Blu-ray und als VoD | FSK 0
R: Emmanuel Courcol | D: Benjamin Lavernhe, Pierre Lottin, Sarah
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