KINO | 11.06.2025

LIKE A COMPLETE UNKNOWN

New York, Anfang der 1960er Jahre. Die Musikszene pulsiert und alles ist geprägt von einer immensen kulturellen Aufbruchstimmung. Ein geheimnisvoller 19-jähriger aus Minnesota kommt mit seiner Gitarre und seinem außergewöhnlichen Talent ins West Village – und wird den Lauf der Geschichte amerikanischer Musik grundlegend verändern.

von Franziska Keil


© 2025 LEONINE Studios

Die 1960er-Jahre sind auch in den Vereinigten Staaten von Amerika ein Jahrzehnt voller Umbrüche. Auch der 19 Jahre alte Bob Dylan (Timothée Chalamet) lässt sich von dem Strudel der Umwälzungen mitreißen. Seine Heimat in Minnesota hat er längst hinter sich gelassen und macht mittlerweile Musik am gefühlten Nabel der Welt: New York City. Dort, im West Village, lässt er sich mit seiner Gitarre und jeder Menge Talent im Gepäck von der Musik treiben. Genau dieses Talent macht schnell die Runde. Von Schubladen hält Dylan jedoch nur wenig. Mit der Folkbewegung fremdelt er und will sich nicht von ihr beanspruchen lassen. Er will seinen ganz eigenen Weg gehen und wirkliche Freunde auf dem unweigerlichen Weg an die Spitze um sich scharen. Die einen begreifen ihn als Querschläger, der musikalisch einfach nur gegen den Strich bürsten will, die anderen sehen in ihm einen genialen Künstler. Jedenfalls scheint eine neue Zeitrechnung zu beginnen, als er 1965 auf dem Newport Folk Festival plötzlich mit E-Gitarre auf der Bühne steht.

Am 06. Juni feiert "Like A Complete Unknown" seine Heimkino-Veröffentlichung auf DVD, Blu-ray und 4K UHD Blu-ray und lädt das Publikum ein, in eine narrative Welt einzutauchen, die sich wohl als existentielle Reflexion oder Charakterstudie verstanden wissen möchte. Doch trotz einer spürbaren Ambition, Tiefgründigkeit zu vermitteln, scheitert der Film daran, seine angestrebten thematischen Höhenflüge zu erreichen und verliert sich stattdessen in einer diffusen Erzählweise, die den Zuschauer ratlos zurücklässt. Der Titel "Like A Complete Unknown" suggeriert eine Reise der Selbstfindung, eine Auseinandersetzung mit Identität oder vielleicht sogar das Eindringen in unbekannte psychische Territorien. Leider bleibt die filmische Umsetzung dieser verheißungsvollen Andeutung weitgehend unerfüllt. Der Film scheint sich an der Erforschung einer Protagonistenfigur zu versuchen, deren innere Leere oder äußere Isolation im Mittelpunkt stehen soll. Doch die narrative Struktur ist so fragmentiert und die Charakterzeichnung so oberflächlich, dass es dem Publikum kaum gelingt, eine tiefere Verbindung zu den Geschehnissen oder den Figuren aufzubauen. Die Regiearbeit scheint sich in einem Spagat zwischen arthouse-affiner Abstraktion und dem Anspruch einer narrativen Zugänglichkeit zu befinden, ohne jedoch einen kohärenten Mittelweg zu finden. Die Kamera verweilt oft auf ästhetisch ansprechenden, doch erzählerisch redundanten Bildern, die zwar atmosphärisch wirken mögen, aber keinen substantiellen Beitrag zur Figurenentwicklung oder Plot-Fortschreitung leisten.


© 2025 LEONINE Studios

Diese visuelle Indifferenz spiegelt sich in einem Pacing wider, das zuweilen zäh wirkt und die Geduld des Zuschauers auf eine unnötige Probe stellt. Was als meditativer Rhythmus intendiert gewesen sein mag, gerät zur schlichten Langeweile. Das Drehbuch erweist sich als eine der größten Schwächen des Films. Die Dialoge, die wohl als kryptisch oder philosophisch intendiert waren, entpuppen sich oft als leer und bedeutungslos. Sie vermitteln keine echten Einblicke in die Gefühlswelt der Charaktere oder in die Konflikte, die sie angeblich durchleben. Statt eine authentische menschliche Erfahrung zu evozieren, wirken die Gespräche oft wie konstruierte Versuche, eine tiefere Bedeutung vorzutäuschen, die nicht eingelöst wird. Das Fehlen klar definierter Motivationen oder nachvollziehbarer Handlungsstränge macht es dem Zuschauer nahezu unmöglich, der emotionalen Reise der Protagonisten zu folgen. Selbst talentierte Darsteller, deren Präsenz das Potenzial gehabt hätte, die Schwächen des Skripts zu kompensieren, wirken in diesem Kontext verschenkt. Ihre Leistungen verpuffen in der Undifferenziertheit der Charaktere und der fehlenden dramaturgischen Fallhöhe. Es entsteht der Eindruck, dass die Schauspieler mit einem Material arbeiten mussten, das ihnen kaum Raum für Entfaltung bot, und somit ihre Fähigkeiten in einem vakuumartigen Setting verkümmern ließen.

"Like A Complete Unknown" scheitert letztlich an seiner eigenen Prätention. Er versucht, ein tiefgründiges Porträt menschlicher Isolation oder die Suche nach dem Sinn zu zeichnen, doch die Ausführung bleibt so vage und uninspiriert, dass das Ergebnis weder emotional berührt noch intellektuell stimuliert. Der Film verliert sich in seinen eigenen philosophischen Anspielungen und vergisst dabei die Notwendigkeit einer klaren, zugänglichen Erzählung. Anstatt den Zuschauer in das Ungewisse der menschlichen Existenz einzutauchen, bleibt er selbst in einem Zustand des Unbekannten gefangen – unfähig, eine klare Botschaft zu formulieren oder eine kohärente Vision zu präsentieren. Für all jene, die auf eine tiefgehende und substanzielle Auseinandersetzung mit existenziellen Fragen hofften, wird "Like A Complete Unknown" eine Enttäuschung darstellen. Die Veröffentlichung auf DVD, Blu-ray und 4K UHD Blu-ray für das Heimkino mag zwar technisch makellose Bilder in die Wohnzimmer bringen, doch die Leere des Bildschirms wird dabei leider nicht gefüllt. Man verlässt den Film mit dem Gefühl, dass eine vielversprechende Idee im Ansatz stecken geblieben ist und das "Unbekannte" lediglich eine Metapher für die ungenutzten Möglichkeiten war.


LIKE A COMPLETE UNKNOWN

ET: 06.06.25: DVD, Blu-ray und 4K UHD Blu-ray | FSK 6
R: James Mangold | D: Timothée Chalamet, Edward Norton, Elle Fanning
USA 2024 | Walt Disney / LEONINE


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