DVD & BLU-RAY | 06.01.2021

Born in Evin

Wo kommen wir her und wo gehen wir hin? Das ist eine philosophische Frage nach dem Sinn des Lebens, die immer wieder ins Bewusstsein der Menschen kommt und die vermutlich die Menschen schon jahrhundertelang beschäftigt. In diesem Film wird aber auch die Frage nach dem, was jetzt ist gestellt. Wer bin ich jetzt und wie hat der Weg hierher mich geprägt? Und warum bedeutet es Freiheit eine Zigarette zu rauchen? Der preisgekrönte Dokumentarfilm von Maryam Zaree ist nun auf DVD erschienen.

von Eve Pohl


© Real Fiction Filmverleih

Die Schauspielerin Maryam Zaree weiß, dass sie im iranischen Gefängnis Evin geboren wurde, ihre Eltern und sie selber irgendwann entlassen wurden und sie mit ihrer Mutter nach Frankfurt geflohen ist. Mit ihrem Vater kommuniziert sie als Kind via Videobotschaften und Tonbandaufnahmen. Je älter sie wird, desto drängender werden ihre Fragen, die sie sich sehr lange nicht getraut hat zu stellen: Wie waren die Bedingungen im Gefängnis? Wieso wurden wir wieder entlassen? Was passierte rund um meine Geburt? Also begibt sie sich auf eine Spurensuche nach Zeugen, nach Ideen und anderen Kindern, die mit einer ähnlichen Geschichte auf die Welt gekommen sind. Weil ihre eigene Mutter nicht über diese Vergangenheit spricht, versucht Maryam auf verschiedenen anderen Wegen etwas über die Umstände im Gefängnis von Evin, die Jugendbewegung im Iran der 80er Jahren und auch über die iranisch-persischen Exilgemeinde herauszufinden.

Es ist nicht leicht etwas zu diesem Film, der nun auf DVD erschienen ist, zu schreiben. Er ist facettenreich und hallt nach. Auf der Suche nach sich selber und seiner eigenen im Dunkeln liegenden Geschichte, sind Wege manchmal steinig, nebelig und verschlungen. Es mag manche Abkürzung geben, die sich später doch als Umweg herausstellt oder sogar als Sackgasse. Die Frage ist, ob die Geburt und der Ort aus dem wir kommen, überhaupt ausmacht, wer wir als Mensch sind. Maryam scheint eine taffe, selbstbewusste Frau zu sein, die keine Scheu hat ihre Meinung zu sagen. Vor allem wenn sie um das deutsche Fernsehen und deren mangelnde Recherchefähigkeiten in Bezug auf Kleidungs-gewohnheiten von Flüchtlingen geht. „Kein Mensch zieht sowas an, wenn er übers Meer flüchtet!“


© Real Fiction Filmverleih

Dennoch herrscht über weite Teile des Films hauptsächlich Schweigen und das, obwohl durchaus viel miteinander geredet wird, nur eben nicht über dieses eine Thema, was wie eine Blase eiskalten Wassers über den Köpfen der Beteiligten hängt. Zuerst habe ich darüber nachgedacht, ob diesen Film eine leere Seite viel besser beschreiben würde. Aber das würde ihm nicht gerecht werden, denn die Schnitzeljagd nach sich selber und den Fragen, die man eigentlich hat, lässt sich nicht nur mit Nichts-Sagen erklären. Obwohl sehr wenig gesagt wird, gibt es doch immer wieder Schnipsel von Erkenntnissen, kleine Happen, die kaum satt machen aber doch den Appetit nach mehr anfachen. Man könnte jetzt auch über das Thema transgenerationale Traumata schreiben, aber auch das wird dem Film nicht gerecht.

Am Anfang steht die Frage, wo man überhaupt anfängt, wenn man ein Thema untersucht, über das nicht gesprochen wird. Wen fragt man, wenn diejenigen, die am besten Bescheid wissen, gar nicht sprechen möchten? Maryam versucht es mit engen Vertrauten ihrer Mutter, ihrem Vater und Überlebenden eben dieses politischen Gefängnisses Evin in Teheran (Iran). Die Art mit dem Erlebten umzugehen ist sehr unterschiedlich, es gibt diejenigen, die versuchen überzukompensieren, die immer erfolgreich sein müssen, die immer weiter hinaus gehen müssen. Es gibt andere, sie sich auf ihre Familie konzentrieren. Ihre eigene Mutter engagiert sich politisch und versucht eine Gesellschaft zu formen, die Freiheit in Gedanken, Worten und Taten vertritt. Im Iran ist vor vierzig Jahren der Schah gestürzt und Ayatollah Khomeini als religiöser Führer an die Spitze des Staates gekommen. Im Zuge dessen haben politische Gegner harte Repressionen zu spüren bekommen, so wie Maryams Eltern, die in Evin inhaftiert wurden. Man erfährt leider nicht so viel über diese Zeit – politisch und gesellschaftlich – wie es wünschenswert gewesen wäre, aber da es sich lediglich um die Vorgeschichte handelt, ist es gar nicht so schlimm. Es ist wie ein Vorspann, der die wichtigsten Fragen anspricht, aber nicht weiter darauf eingeht.


© Real Fiction Filmverleih

Man könnte sich auch an anderen Fragen aufhängen, wie dem Aussehen des Filmes. Die Bilder sind nicht immer schön ausgeleuchtet, manchmal ist das Bild verwackelt und die Perspektive etwas verzerrt. Aber das stört gar nicht! Auf der Suche nach Antworten ist es gar nicht wichtig, ob es dunkel oder hell ist, ob die Räume eng und die Keller in denen man auf seinen Auftritt wartet, deprimierend sind. Nur das Schweigen, das fällt immer wieder auf. Die Kamera hängt manchmal ein paar Sekunden zu lang an einer schweigenden Person. Das ist beklemmend und man möchte gerne in die Szene springen und den oder die schütteln, endlich das Schweigen zu brechen. Dass es einem physisch unangenehm ist, beweist aber nur, dass diese Dokumentation emotional berührt und man fragt sich, ob es eigentlich in der eigenen Familie auch dieses Schweigen gibt.

Das Ende des Films mutet etwas kitschig an, wenn die Familie zusammenkommt und es dann einfach nicht mehr darum geht, was genau passiert ist. Zuletzt hat der Prozess des Filmes und des Filmemachens dafür gesorgt, dass das Trauma, das unausgesprochene Wort verarbeitet, bearbeitet wurde und so die Familie näher zueinander gebracht hat. Manchmal geht es eben doch nicht darum, wo man herkommt oder hingeht, sondern um diejenigen, die den Weg dorthin gemeinsam gehen. Und manchmal bedeutet es sogar Freiheit eine Zigarette zu rauchen, wenn das etwas ist, das einer Gefangenen im Gefängnis als letzten Wunsch verwehrt wurde.


BORN IN EVIN

Deutschland 2019 | 375 Media | : 27. November 2020 (FSK 12)
R: Maryam Zarée | Dokumentation


 

AGB | IMPRESSUM