DVD & BLU-RAY | 15.07.2020

LITTLE JOE – Glück ist ein Geschäft

Die alleinerziehende Mutter und Wissenschaftlerin Alice hat sich voll und ganz ihrem Beruf verschrieben. Als Botanikerin hat sie eine purpurrote Blume erschaffen, die eine ganz einzigartige Wirkung hat – bei idealer Raumtemperatur und ausreichender Zuwendung macht ihr Duft die Menschen glücklich! Das Meisterwerk von Jessica Hausner erscheint nun auf DVD.

von Richard-Heinrich Tarenz


© COOP99, The Bureau, Essential Films

Alice (Emily Beecham) ist eine Frau, die ihren Job als Wissenschaftlerin im Gewächshaus liebt. Als alleinerziehende Mutter führt sie mit ihrem Sohn Joe (Kit Connor) ein glückliches Leben. Ihre neueste Entdeckung scheint sensationell zu sein: Sie hat eine purpurrote Zinnoberpflanze geschaffen, die eine ganz besondere Eigenschaft hat: Wenn sie in der idealen Raumtemperatur steht, macht der Duft der Pflanze die anwesenden Menschen glücklich. Zu Ehren ihres Sohnes nennt sie ihre Schöpfung „Little Joe“. Sie nimmt ein Gewächs mit nach Hause, ohne zu wissen, welche Auswirkungen das Saatgut der Pflanze auf alle Menschen oder Tiere hat, die mit ihnen in Kontakt kommen. Die Menschen, die sich im unmittelbaren Umfeld der Pflanze befinden, beginnen sich eigenartig zu benehmen und schon bald beschleicht Alice der Verdacht, dass ihre eigene Schöpfung wohl doch nicht so harmlos ist, wie sie angenommen hat…

Seit ihrem atemberaubenden Debüt „Lovely Rita“ im Jahre 2001 gehört die österreichische Autorin und Regisseurin Jessica Hausner zu den interessantesten Filmemacherinnen und Filmemacher im deutschsprachigen Raum. Dieser Eindruck wurde bestätigt durch ihren zweiten Film „Hotel“ und gekrönt durch die Teilnahme am offiziellen Wettbewerb des prestigeträchtigen Filmfestivals von Cannes. Dort wurde unter großer Beachtung „Little Joe“ gezeigt, der nun auf DVD erscheint. Der Film überzeugt mit einer ungewöhnlichen Handlung und einem spielfreudigen Cast. Wie schon in früheren Filmen angedeutet, verfolgt Regisseurin Jessica Hausner einen strengen Kompositionsstil. Das spiegelt sich in diesem perfekt in den feinsäuberlich eingerichteten und sortierten Gewächshäusern wider. Generell scheint sich in der Welt von „Little Joe“ alles sehr perfekt arrangiert anzuordnen.


© COOP99, The Bureau, Essential Films

Es ist eine kühle, durchstrukturierte Welt, in welcher Emotionen nie oder nur sehr spärlich eruptiv an die Oberfläche dringen. Einen sehr schönen Kontrast dazu bietet das kräftige, ja fast schon lebendige Rot der Little Joes, eingebettet in eine Welt der eher betont satten Farben. Es sind diese fast schon hypnotischen Bilder aus dem Gewächshaus, die sehr gelungen sind und voller cineastischer kreativer Energie sind. Es sind die Bilder, die den Film tragen. Die Handlung ist originell, aber kann nicht immer überzeugen. Es ist die Musik, die mit den Bildern eine geniale Symbiose eingeht. Die Filmmusik geht auf dem 1982 verstorbenen japanischen Avantgarde-Komponisten Teiji Ito zurück und berührt den Zuschauer emotional zutiefst. „Little Joe“ lässt sich nur schwer fassen, wenn es um eine eindeutige Genre-Einordnung geht. Gerade das macht den Film sehr sympathisch.

Er ist Kunstfilm, ein wenig Horror und auch gesellschaftskritisch. Aber vielleicht auch nur ein Rätsel in einem Rätsel oder nichts von alledem. Menschen werden glücklich – dagegen ist wenig einzuwenden. Aber was bedeutet Glück eigentlich? Diese Fragen kratzt der Film an und verhandelt sie eigentümlich. Eine eindeutige Interpretation erschließt sich kaum. Es ist eine Abrechnung mit toxischer Männlichkeit, mit dem wahnwitzigen und irrealen Streben nach Glück in einer durchstrukturierten Welt, die Glück als Mittel zur Perfektion ansieht. Totalitarismus, der sich offenbart in einer neoliberalen Weltsicht. Der Sieg des Materialismus. Glück als Selbstwert einer Spaßgesellschaft, die Tod und Alter verdrängt und sich in scheinbar endlosen Vergnügungen spiegelt. Wo die Intention absichtlich nebulös scheint, ist es die starke Leistung der Schauspielerinnen und Schauspieler nicht. Emily Beecham („Hail, Caesar!“) in der Hauptrolle ist großartig und perfekt besetzt. Sie spielt emotional unterkühlt und erreicht genau damit eine enorme Intensivität, die unter die Haut geht. Dieser Film lässt Bilder sprechen und regt zu Diskussionen an. Ein Film der besonderen Art.


LITTLE JOE - Glück ist ein Geschäft

Österreich, Deutschland, Großbritannien 2019 | X Verleih | : 31. Juli 2020 (FSK 12)
R: Jessica Hausner | D: Emily Beecham, Ben Whishaw, Kerry Fox

 


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