KINO | 11.06.2025

DAS FEST GEHT WEITER

Im Arbeiterviertel des alten Marseille ist Rosa das Herz und die Seele ihrer Nachbarschaft, eine Krankenschwester, Lokalpolitikerin und die Matriarchin einer großen, eng verbundenen Familie. Rosa findet immer eine Lösung, alle halten sie für unerschütterlich.

von Richard-Heinrich Tarenz


© 2024 Film Kino Text

Am 12. Juni startete Robert Guédiguians jüngstes Werk, "Das Fest geht weiter!", in den deutschen Kinos und erweist sich als ein filmisches Kleinod, das die Herzen mit seiner tiefen Menschlichkeit und seinem unerschütterlichen Optimismus berührt. Guédiguian, ein Meister des sozialkritischen Dramas, der seine filmische Heimat stets in den Gassen und am Hafen von Marseille findet, liefert erneut ein sensibles und authentisches Porträt einer Gemeinschaft, die sich mit den Herausforderungen des Lebens konfrontiert sieht und doch niemals die Hoffnung verliert. Im Zentrum der Erzählung steht Rosa (Ariane Ascaride), eine Figur von bemerkenswerter Vitalität und unermüdlichem Engagement. Trotz ihres fortgeschrittenen Alters ist sie eine engagierte Aktivistin, die sich mit Leidenschaft für soziale Gerechtigkeit in ihrer geliebten Stadt einsetzt. Als sie einen Herzinfarkt erleidet, wird sie symbolisch wie tatsächlich von Henri, einem ihr zugeneigten Arzt, gerettet. Diese existenzielle Zäsur wird zum Ausgangspunkt einer vielschichtigen Erkundung menschlicher Beziehungen und des kollektiven Überlebenskampfes. Henri verliebt sich in Rosa, doch ihre bereits bestehende Beziehung zu dem Mann, der sich um ihr Haus kümmert, verkompliziert die emotionalen Dynamiken auf eine subtile und nachvollziehbare Weise. Parallel zu Rosas persönlicher Geschichte entfaltet der Film die Lebensrealitäten ihrer Tochter und ihres Vaters, die ebenfalls mit den Widrigkeiten des Lebens in der Arbeiterklasse Marseilles ringen. Guédiguian verzichtet auf plakative Schwarz-Weiß-Zeichnungen und taucht stattdessen tief in die Grautöne des Alltags ein. Er beleuchtet die komplexen Verflechtungen innerhalb einer Familie und einer Gemeinschaft, die sich den sozialen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten ihrer Zeit mit einer Mischung aus Trotz und Zärtlichkeit stellen. Der Regisseur inszeniert diese Kämpfe nicht mit Pathos, sondern mit einem Realismus, der von einer tiefen Empathie für seine Charaktere getragen wird. "Das Fest geht weiter!“ ist ein Paradebeispiel für Guédiguians charakteristischen Stil, der einen poetischen Realismus mit einer fast dokumentarischen Authentizität verbindet. Die Stadt Marseille ist mehr als nur Kulisse; sie ist ein lebendiger Organismus, ein weiterer Hauptdarsteller, dessen Ecken und Kanten, dessen Schönheit und Härte die Charaktere formen.


© 2024 Film Kino Text

Die Kameraarbeit fängt die Essenz dieser Hafenstadt ein, von den lebhaften Märkten bis zu den stillen Wohnungen, in denen sich die Schicksale der Menschen abspielen. Die Dialoge sind organisch und lebensnah, geprägt von den Nuancen des südfranzösischen Idioms und einer aufrichtigen Menschlichkeit. Die schauspielerischen Leistungen tragen maßgeblich zur Wirkung des Films bei. Ariane Ascaride verkörpert Rosa mit einer unnachahmlichen Mischung aus Stärke, Verletzlichkeit und sprühender Lebensfreude. Ihre Präsenz ist magnetisch, und sie trägt die emotionale Last der Erzählung mit großer Bravour. Jean-Pierre Darroussin, Gérard Meylan und Anaïs Demoustier ergänzen das Ensemble perfekt und verleihen ihren Figuren eine Glaubwürdigkeit, die den Zuschauer unmittelbar in ihre Welt hineinzieht. Die Chemie zwischen den Darstellern ist spürbar und verstärkt das Gefühl einer eng verbundenen Gemeinschaft. Trotz der thematisierten Härten und sozialen Missstände verfällt " Das Fest geht weiter!" niemals in Verzweiflung. Guédiguian gelingt es, eine Botschaft des leisen Optimismus zu vermitteln, die in der Solidarität der Gemeinschaft, der Liebe innerhalb der Familie und der unermüdlichen Fähigkeit des Menschen, sich anzupassen und weiterzukämpfen, begründet liegt. Das "Fest", das im Titel anklingt, ist nicht das einer unbeschwerten Feier, sondern das des Lebens selbst – eine fortwährende Huldigung an die menschliche Widerstandsfähigkeit und die kleinen Freuden des Alltags, die inmitten von Herausforderungen gefunden werden können. Der Film ist eine Hommage an diejenigen, die im Verborgenen kämpfen, und eine Erinnerung daran, dass Menschlichkeit und Hoffnung auch in schwierigen Zeiten blühen können. "Das Fest geht weiter!" ist ein zutiefst bewegendes und wichtiges Werk, das durch seine sensible Darstellung von Solidarität und seinen nuancierten Blick auf die Lebensrealität einfacher Menschen besticht. Robert Guédiguian hat einen Film geschaffen, der nicht nur unterhält, sondern auch zum Nachdenken anregt und das Publikum mit einem Gefühl der Verbundenheit und einem erneuerten Glauben an die Stärke des menschlichen Geistes entlässt. Ein Muss für Liebhaber des europäischen Autorenkinos und alle, die eine Geschichte suchen, die mit Herz und Seele erzählt wird.


DAS FEST GEHT WEITER

Start: 12.06.25 | FSK 12
R: Robert Guédiguian | D: Ariane Ascaride, Jean-Pierre Darroussin, Lola Naymark
Frankreich, Italien 2023 | Film Kino Text


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