KINO | 25.09.2024

Good Bye, Lenin!

Geschichte wird gemacht. Nur für den 21-jährigen Alex geht nichts voran. Kurz vor dem Fall der Mauer fällt seine Mutter, eine selbstbewusste Bürgerin der DDR, nach einem Herzinfarkt ins Koma – und verschläft den Siegeszug des Kapitalismus. Als sie wie durch ein Wunder nach acht Monaten die Augen wieder aufschlägt, erwacht sie in einem neuen Land. Sie hat nicht miterlebt, wie West-Autos und Fast-Food-Ketten den Osten überrollen, wie Coca-Cola Jahrzehnte des Sozialismus einfach wegspült, wie man hastig zusammenwachsen lässt, was zusammengehört.

von Richard-Heinrich Tarenz


© X Verleih

Kurz vor dem Ende der DDR fällt die engagierte Sozialistin Christiane Kerner (Katrin Sass) ins Koma, weil sie beobachtet wie ihr Sohn Alexander (Daniel Brühl) während einer Anti-DDR-Demonstration festgenommen wird. Als sie nach dem Fall der Mauer wieder erwacht, muss sie geschont werden. Um sie nicht aufzuregen, versucht die Familie, zu der auch Tochter Ariane (Maria Simon) gehört, den nicht mehr existierenden Staat in der Wohnung zu simulieren. Das Unterfangen erweist sich jedoch als schwierige Mission, da die typischen DDR-Produkte nach der Wende keine Hochkonjunktur haben, müssen Alexander und Arine alle Hebel in Bewegung setzen, um sie noch aufzutreiben. Alexander dreht eigene Berichte des DDR-Fernsehens, um seiner Mutter vorzugaukeln, das es noch existiert. Die Realität außerhalb der Wohnung und die idealisierte Version der DDR, die Alexander erschafft, offenbaren die schwierige Zeit, in der sich nicht nur Christiane befindet.

„Good Bye, Lenin!“, der 2003 unter der Regie von Wolfgang Becker entstandene Film, der jetzt im Rahmen der Reihe „Best of Cinema“ wiederaufgeführt wird, ist nicht nur ein herausragendes Beispiel für das deutsche Kino der frühen 2000er Jahre, sondern auch ein bedeutendes kulturelles Phänomen, das die Wendezeit in Deutschland auf einzigartige Weise thematisiert. Mit einer Mischung aus Tragikomödie und sozialkritischem Kommentar gelingt es dem Film, die komplexen Emotionen und Herausforderungen der Wiedervereinigung auf eine zugängliche und berührende Art und Weise darzustellen. Die Geschichte dreht sich um Alex, der für seine Mutter eine fiktive Realität, in der die DDR weiterhin besteht, inszeniert – ein Unterfangen, das sowohl komische als auch tragische Konsequenzen hat. Diese Prämisse bietet eine hervorragende Grundlage für eine tiefgründige Auseinandersetzung mit Identität, Erinnerung und den Auswirkungen politischer Veränderungen auf das individuelle Leben. Der Film zeigt eindrucksvoll, wie persönliche Geschichten in den größeren Kontext historischer Ereignisse eingebettet sind.


© X Verleih

Was „Good Bye, Lenin!“ besonders macht, ist die meisterhafte Balance zwischen Humor und Tragik. f
Becker gelingt es, ernste Themen mit Leichtigkeit zu behandeln. Die skurrilen Situationen, in denen Alex versucht, seine Lügen aufrechtzuerhalten – von gefälschten Nachrichten bis hin zu inszenierten Fernsehsendungen – sorgen für zahlreiche komische Momente. Gleichzeitig wird jedoch nie vergessen, dass hinter diesen Komödien menschliches Leid und Verlust stehen. Die Darstellung der DDR als nostalgisches Ideal wird durch die Augen von Alex vermittelt. Während er versucht, seine Mutter vor der schockierenden Realität zu schützen, wird deutlich, dass auch er mit seinen eigenen Erinnerungen an die Vergangenheit kämpft. Diese duale Perspektive ermöglicht es dem Publikum, sowohl mit den Charakteren zu fühlen als auch über die Absurditäten des Lebens nachzudenken. „Good Bye, Lenin!“ hat nicht nur in Deutschland große Anerkennung gefunden; er wurde international gefeiert und erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Europäischen Filmpreis für den besten Film.

Der Film hat dazu beigetragen, das Bild der Wiedervereinigung in der deutschen Kultur neu zu definieren und einen Dialog über Identität und Zugehörigkeit anzustoßen. In einer Zeit des Wandels war „Good Bye, Lenin!“ ein wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung der deutschen Geschichte. Er ermöglichte es vielen Menschen – insbesondere jenen aus Ostdeutschland –, ihre eigenen Erfahrungen mit der Wende zu reflektieren. Der Film spricht universelle Themen an: Verlust von Idealen, familiäre Bindungen und die Suche nach Identität in einer sich verändernden Welt. Neben seiner packenden Handlung besticht „Good Bye, Lenin!“ auch durch seine technische Brillanz. Die kinematografische Gestaltung von Jens Harant schafft eine nostalgische Atmosphäre und verstärkt das Gefühl von Erinnerungen an vergangene Zeiten. Die sorgfältige Auswahl von Musikstücken aus der Zeit der DDR trägt ebenfalls zur emotionalen Tiefe des Films bei. Die schauspielerischen Leistungen sind ebenfalls herausragend; Daniel Brühl überzeugt als besorgter Sohn ebenso wie Katrin Sass in ihrer Rolle als naive Mutter. Ihre Chemie auf der Leinwand verleiht dem Film eine zusätzliche emotionale Dimension.


GOOD BYE, LENIN!

Wiederaufführung: 01.10.24 | FSK 6
R: Wolfgang Becker | D: Daniel Brühl, Katrin Sass, Chulpan Khamatova
Deutschland 2003 | X Verleih



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