KINO | 25.09.2024

MEGALOPOLIS

Einst war New Rome der Nabel der Welt, das Zentrum der Macht, unangreifbar, unverletzlich. Doch Korruption und Gier haben die Metropole ausgehöhlt, der Zahn der Zeit nagt an den kolossalen Bauten, die sich gen Himmel recken. Einer hat nicht aufgehört, große Träume für New Rome zu haben: Cäsar Catilina, Nobelpreisträger und genialer Erfinder des Zauberstoffs Megalo, hat eine Vision, wie es wieder bergauf gehen, eine bessere Zukunft für alle Menschen entstehen kann.

von Richard-Heinrich Tarenz


© Phil Caruso 2024 Lionsgate/Constantin Film

Macht, Geld und Gier sind der Niedergang der Menschheit – das zeigt ein Blick in die Geschichte und auch auf New Rome. Einst schillernde Metropole, heute ein Moloch der Korruption mit den nur noch im Rückspiegel erkennbaren besten Zeiten. Die prunkvolle Architektur zerfällt mehr und mehr, der Untergang New Romes scheint unausweichlich und nur noch eine Frage der Zeit. Doch damit will sich Cäsar Catiling (Adam Driver) nicht abfinden. Der Künstler, nobelpreisgekrönter Erfinder und Visionär hat nicht nur einen Traum, sondern auch einen tatsächlichen Plan, wie New Rome wieder zu alter Stärke zurückfinden könnte. Wem das gar nicht passt, ist Bürgermeister Franklyn Cicero (Giancarlo Esposito). Veränderung und Fortschritt würden an seinem Thron kratzen. Er will jedoch um jeden Preis am Status Quo, also seiner Macht und seinem Reichtum festhalten. Doch ausgerechnet seine Tochter Julia (Nathalie Emmanuel) scheint als dessen Geliebt an der Seite Cäsars zu stehen. Ein erbitterter Kampf um Macht, Zukunft und die Liebe entbrennt.

Francis Ford Coppola, ein Name, der in der Filmgeschichte mit Meisterwerken wie „Der Pate“ und „Apocalypse Now“ verbunden ist, hat sich über die Jahrzehnte als einer der einflussreichsten Regisseure etabliert. Seine Filme sind nicht nur technische Meisterwerke, sondern auch tiefgründige Erkundungen menschlicher Natur und gesellschaftlicher Strukturen. Mit „Megalopolis“, einem Projekt, das seit den 1980er Jahren in der Entwicklung ist und jetzt seinen Weg in die Kinos weltweit fand, hat Coppola versucht, seine Vision einer utopischen Stadt zu verwirklichen – ein Vorhaben, das sowohl ambitioniert als auch problematisch war. „Megalopolis“ sollte ursprünglich eine epische Geschichte über den Bau einer idealen Stadt im Kontext des urbanen Wandels und der sozialen Konflikte erzählen. Coppola wollte die Herausforderungen und Möglichkeiten erforschen, die mit dem Streben nach einer perfekten Gesellschaft verbunden sind. In einer Zeit, in der Themen wie Urbanisierung und soziale Gerechtigkeit immer relevanter werden, hätte „Megalopolis“ eine bedeutende Reflexion über die menschliche Ambition und den Preis des Fortschritts sein können.

Die Idee eines utopischen Projekts spiegelt sich bereits in Coppolas früheren Arbeiten wider. In Filmen wie „Der Pate“ wird die Komplexität von Machtstrukturen und familiären Bindungen thematisiert, während „Apocalypse Now“ die Abgründe des Krieges und der menschlichen Psyche beleuchtet. Diese Themen sind auch in „Megalopolis“ präsent. Die Produktionsgeschichte von „Megalopolis“ ist geprägt von Schwierigkeiten und Rückschlägen. Ursprünglich für die 1980er Jahre geplant, wurde das Projekt aufgrund finanzieller Probleme und kreativer Differenzen immer wieder verschoben. Coppola selbst hat in Interviews betont, dass er an dem Film festhält, weil er an die Relevanz seiner Botschaft glaubt. Der Film, der über Jahrzehnte in der Entwicklung war, ist ein ambitioniertes Unterfangen.


© Phil Caruso 2024 Lionsgate/Constantin Film

Doch während die Vision hinter „Megalopolis“ faszinierend ist, bleibt die Ausführung oft fragmentiert und chaotisch. In der ersten Hälfte des Films wird das Publikum in eine Welt eingeführt, deren Zusammenhänge nur schwer zu erfassen sind. Die Handlung wirkt lose und unstrukturiert; es ist nicht sofort klar, worum es eigentlich geht. Diese Unklarheit zieht sich durch den gesamten Film und führt dazu, dass die Zuschauer oft mehr mit den skurrilen Einzelmomenten beschäftigt sind als mit einer kohärenten Erzählung. Die zweite Hälfte des Films bringt zwar etwas mehr Schwung in die Geschichte, doch auch hier bleibt der Fokus auf den bizarren und oft surrealen Momenten. Diese Kombination aus hochtrabenden Ideen und plumpem Humor sorgt für einen ständigen Wechsel zwischen Faszination und Frustration. Der namhafte Cast von „Megalopolis“, zu dem unter anderem Adam Driver, Jon Voight und Shia LaBeouf gehören, schwankt schauspielerisch zwischen beeindruckenden Darbietungen und amateurhaftem Spiel. In einigen Szenen scheinen die Schauspieler Shakespeare zu zitieren, während sie in anderen eher an Schultheateraufführungen erinnern. Diese Unbeständigkeit trägt zur allgemeinen Verwirrung des Films bei und lässt den Zuschauer oft ratlos zurück.

Besonders auffällig ist Jon Voights Auftritt als römischer Robin Hood. Seine grotesken Auftritte sind nicht nur amüsant, sondern werfen auch Fragen nach dem Tonfall des Films auf: Ist dies ernst gemeint oder handelt es sich um eine bewusste Parodie? Coppola nutzt in „Megalopolis“ eine Vielzahl von Stilmitteln und Verfremdungseffekten. Diese experimentellen Ansätze machen den Film zu einem der kühnsten seiner Zeit. Doch während einige Zuschauer diese Vielfalt als künstlerischen Ausdruck feiern könnten, empfinden andere sie als prätentiös oder gar verwirrend. „Megalopolis“ ist ein prätentiöser Egotrip und visionäre Kulmination eines überragenden filmischen Schaffens zugleich. Während Coppola ohne Zweifel ein talentierter Filmemacher ist, stellt sich die Frage, ob er mit diesem Projekt nicht über seine eigenen Ambitionen hinausgeschossen ist. Der Film könnte als Manifest seiner künstlerischen Freiheit interpretiert werden – gleichzeitig jedoch auch als Beispiel dafür, wie weit man gehen kann, bevor man das Publikum verliert.

Unabhängig von „Megalopolis“ bleibt Francis Ford Coppolas Einfluss auf die Filmgeschichte unbestritten. Seine Fähigkeit, komplexe Charaktere zu schaffen und tiefgründige Themen zu behandeln, hat Generationen von Filmemachern inspiriert. Filme wie „Der Pate“, der oft als einer der besten Filme aller Zeiten angesehen wird, haben nicht nur Maßstäbe für das Geschichtenerzählen gesetzt; sie haben auch das Genre des Gangsterfilms neu definiert. Coppolas Werke sind oft geprägt von moralischen Dilemmata und dem Streben nach Macht – Themen, die auch in unserer heutigen Gesellschaft relevant sind. Seine Fähigkeit zur kritischen Auseinandersetzung mit diesen Themen macht ihn zu einem zeitlosen Filmemacher.


MEGALOPOLIS

Start: 26.09.24 | FSK 12
R: Francis Ford Coppola | D: Adam Driver, Giancarlo Esposito, Nathalie Emmanuel
USA 2024 | Constantin Film Verleih


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