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Startseite > Film > Kino | 27.11.2019

KINO
Die schönste Zeit unseres Lebens

Ist ja schon mies, wenn der eigene Job nicht mehr gebraucht wird, die Welt sich viel schneller dreht als man selbst, die Kinder aus dem Haus sind und dann auch noch die eigene Frau fremd geht. So ergeht es Victor, bis er durch ein Geschenk eine besondere Überraschung erleben darf, die schönste Zeit seines Lebens.

von Eve Pohl


© 2019 Constantin Film Verleih GmbH

„So kann es mit den Eltern einfach nicht weitergehen!“, denkt sich Maxime (Michaël Cohen). Sein Vater Victor (Daniel Auteuil) wird zunehmend zu einer Nervensäge, die mit sich, der Welt und dem Alter über Kreuz liegt. Seine Frau Marianne (Fanny Ardant) ist das genaue Gegenteil. Victors ewige schlechte Laune wird ihr schließlich zu viel. Sie setzt ihn kurzerhand vor die Tür. Victor braucht definitiv Hilfe! Und Maxime hat eine Idee. Sein Freund Antoine (Guillaume Canet) hat eine Firma, „Time Travellers“, die gut betuchten Kunden ermöglicht, in einem raffiniert eingerichteten Filmstudio in eine Zeit ihrer Wahl zu reisen. Victor willigt ein. Er entscheidet sich für das Jahr 1974, den exakten Tag, an dem er sich in seine Frau Marianne verliebt hatte. Anfangs skeptisch, lässt er sich immer mehr in den Bann der Erinnerungen ziehen. Und die Kulisse aus Neonlichtern, Schlaghosen und Zigarettenrauch wird zu einer Reise, in der die betörende Schauspielerin Margot (Doria Tillier) die Grenze zwischen damals und heute verschwimmen lässt…

Wer würde nicht mal gerne mit Napoleon Bonaparte und seiner Josephine zu Abend essen, Shakespeare beim Schreiben einer seiner Stücke über die Schulter schauen, in den Goldenen Zwanzigern in Berlin Charleston tanzen oder beim legendären Woodstock-Festival dabei sein? Oder eben noch einmal den Tag erleben, an dem man seine große Liebe kennen gelernt hat? Genau diese Dienstleistung bietet eine Agentur an, die ein Schulfreund von Victors Sohn leitet. Er ist besessen davon den Menschen ein möglichst „echtes“ und in allen Details stimmiges Erlebnis zu bescheren und ist von seinen Mitarbeitern gefürchtet, perfekt ist immer noch nicht gut genug für ihn.


© 2019 Constantin Film Verleih GmbH

So erschafft Regisseur Nicolas Bedos ein Potpourri an unterschiedlichsten Figuren, mit vielen unterschiedlichen Grundhaltungen und Charakterzügen, die alle ihre eigene Geschichte im Herzen tragen. Und das macht den Film aus, nämlich, dass da ganz viel Herz im Spiel ist, obwohl sie sich gegenseitig beleidigen („In welche Zeit würdest du gerne mal zurückreisen, Victor?“ - „In die Steinzeit, als ich noch Sex mit meiner Frau hatte.“) und die besten Tage teilweise schon vorbei sind. Trotzdem ist dieser Film so liebevoll inszeniert, dass man insgeheim hofft, dass die Reise niemals enden mag, denn irgendwie war früher ja doch alles besser, als die Zeit noch nicht so dahinschwand, die Weihnachten noch weiß und das Gras noch grüner war. Man fragt sich allerdings auch, wie diese Menschen eigentlich jemals eine Familie werden konnten, da offensichtlich jede Zuneigung füreinander verloren gegangen ist und die Zeit sie getrennt hat, nicht aufgrund der Jahre die ins Land gestrichen sind, sondern weil er in der Vergangenheit hängen geblieben ist und ihr der Fortschritt nicht schnell genug gehen kann, weil er gemütlich zu Hause ist und sie Karriere als Psychoanalytikerin macht.

Konstatieren kann man also, Victor (Daniel Auteuil) und seine Frau Marrianne (Fanny Ardant) sind kein glückliches Paar mehr, das ist die erste Ebene auf der die Geschichte spielt. Wunderbar verwirrend wird es, als viele andere Ebenen dazu kommen und man manchmal gar nicht mehr so genau weiß, ist es nun Realität oder Fiktion, was ist Spiel und was passiert wirklich. Denn nachdem Victor von seinem Sohn die Zeitreise im realen für einen Tag geschenkt bekommt, möchte er gerne ins Jahr 1974 zurückkehren, an den Tag an dem er seine große Liebe kennen gelernt hat, denn das war die schönste Zeit in seinem Leben. Und so findet er sich im besten 70er Jahre Outfit in jenem Café Belle Epoche wieder, wo sie sich das erste Mal trafen, er in seinen besten Jahren und eine Schauspielerin wie seine Frau zu dieser Zeit und sie erleben eine wunderbare Zeit.


© 2019 Constantin Film Verleih GmbH

An dieser Stelle nimmt der Film Fahrt auf und man durchlebt ein Karussell von Eindrücken: Victor, der sich an alles genau erinnert und diejenigen Schauspieler korrigiert, die nicht den richtigen Text kennen, solche die selber in diesem Momente ein Erlebnis haben, oder vielleicht auch nicht, die junge Marianne, den Inszenator, wie er den Schauspielern immer wieder Anweisungen gibt oder den Regen vom Himmel fallen lässt.

Das Drehbuch ist dabei so klug gemacht, dass man sowohl die Gemüter der Menschen im Heute, aber auch die Lebensgeschichte von Victor und Marianne erfährt ohne eine einzige Rückblende nutzen zu müssen. Es macht einfach Spaß zuzuschauen, denn es ist wunderbar und charmant inszeniert, sowohl die Inszenierung im Film, als auch der Film selber. Neben diesem Hauptplot, hat jede Figur noch eine eigene Geschichte, die nicht zu kurz kommt. Marianne hat eine Affäre, die sie nicht zufrieden macht und zieht kurzerhand mit dieser zusammen, nachdem Victor ausgezogen ist, obwohl diese Beziehung auch nicht das ist, wonach sie sich sehnt. Ihr Sohn leitet eine erfolgreiche Firma und versucht seit eh und je seinen Vater zur Mitarbeit zu bewegen, der Intendant Antoine (Guillaume Canet) lebt in einer On-Off Beziehung mit Margot (Doria Tillier), der Frau, die die Marianne von 1974 verkörpert und noch viele weitere Nebenstränge, die aber nicht zu sehr in den Vordergrund rücken, aber ein stimmiges Gesamtbild zeichnen. Nicht unerwähnt darf auch bleiben, dass man hier ein wunderbares 70er Jahre Setting präsentiert bekommt, von der Mode über das Essen, die Schicksale und den Cannabisteppich kann man sich in jeder Szene an kleinen Details erfreuen, von denen man sicherlich nicht alle schon beim ersten Anschauen sehen wird.

Insgesamt ist „Die schönste Zeit unseres Lebens“ ein wirklich sehenswerter Film mit großen und kleinen Dramen, dem Schwanken zwischen Realität und Traum, wobei man nie so genau weiß, an welcher Stelle der Realität man sich befindet. Das Ende überrascht nicht besonders, aber das macht gar nichts, denn der Weg zu diesem Ende macht einfach Spaß. Man sollte diesen Film nicht auslassen, wenn man eigensinnige Charaktere, ein ausgeklügeltes Drehbuch und viel Detailverliebtheit mag.


Frankreich 2019 | Constantin Film Verleih | Start: 28. November 2019 (FSK 12)
R: Nicolas Bedos | D: Daniel Auteuil, Guillaume Canet, Doria Tillier


 

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