KINO | 30.09.2020

Eine Frau mit berauschenden Talenten

Wo würde man einen Baum verstecken? Der beste Ort dafür wäre wahrscheinlich ein Wald. Denn dort, verborgen in der Offensichtlichkeit würde ihn doch niemand erwarten. Warum dann nicht einfach als knallharte Drogendealerin einfach auf der Polizei im Drogendezernat arbeiten? Dort würde man schließlich als letztes suchen.

von Eve Pohl


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Patience (Isabelle Huppert) ist selbstbewusst, unabhängig und vor allem schlagfertig. Nur bei ihren Finanzen ist Luft nach oben. Als Dolmetscherin im Drogendezernat übersetzt sie abgehörte Telefonate der Drogenszene und ist dafür massiv unterbezahlt. Als das kostspielige Pflegeheim ihrer Mutter wegen unbezahlter Rechnungen droht, die alte Dame auszuquartieren, gerät Patience unter Handlungsdruck. Der Zufall will es, dass gerade eine Drogenlieferung auf dem Weg nach Paris ist. Patience entscheidet sich spontan gegen die Ehrlichkeit und sabotiert die Beschlagnahmung der Drogen. In Eigenregie fahndet sie nach dem hochwertigen Hasch – und wird fündig. Patience macht sich sofort fröhlich ans Werk und zeigt sich von ihrer besten Seite: Als begnadete Verkäuferin mischt sie den Pariser Drogenmarkt maximal auf. Mit offensichtlichem Vergnügen an ihrer neuen Rolle als gebieterische Madame Hasch lässt sie ihrer kriminellen Kreativität freien Lauf: Ob marokkanische Koffer, Bauchtaschen oder Keksverpackungen: Patience ist die neue Drogen-Autorität der Stadt und für die Polizei ein Phantom, das die Nerven ihrer ahnungslosen Kollegen sichtlich strapaziert. Doch die Drogendiva muss sich sputen, denn ausgerechnet ihr Verehrer Philippe, Leiter des Drogendezernats, hat einen Verdacht, wer hinter dem Phantom wirklich steckt…

Der Film „Eine Frau mit berauschenden Talenten“ basiert auf einem Kriminalroman der französischen Anwältin Hannelore Cayre mit dem Namen „Die Alte“ bzw. „La Daronne“. Dieser thematisiert auf eine bissige Art und Weise die Zustände, die in Frankreich herrschen. Die Gesellschaft ist so zerrissen, wie sie es nur sein könnte. Viele gesellschaftliche Gruppen werden dabei aufs Korn genommen und scharf kritisiert. Dabei entsteht ein scharfes und kritisches Bild der französischen Gesellschaft und des politischen Versagens in unterschiedlichen Bereichen des Lebens. Sowohl die Sparmaßnahmen bei der französischen Polizei, als auch die begrenzten Möglichkeiten der Partizipation von Menschen mit Migrationshintergrund und die Versäumnisse bei der Versorgung der Alten sind Themen, die sie aufgreift.


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Die Diskussionen, wie nah eine Verfilmung an der Buchvorlage bleiben muss, welche Veränderungen in Ordnung sind und wie gut die Adaption ist, sind vermutlich schon so alt wie es Filme gibt. Das könnte man auch in diesem Fall machen, hat das Buch doch bereits den Deutschen Krimipreis in der Kategorie „International“ im vergangenen Jahr gewonnen. Der Film geht allerdings in seiner Tonalität einen anderen Weg als die literarische Vorlage. Es handelt es sich hier mehr um eine fast schon romantisch anmutende Geschichte einer Frau, die von ihrer Familie bestimmte Geisteshaltungen geerbt hat, mit dem sie aus jeder Situation Kapital – im wahrsten Sinne des Wortes – schlägt. Sie befindet sich in einer Lage, in der sie nicht glücklich ist, das Abenteuer und das Geld fehlen, aber auch ihre Aufgabe bei der Polizei befriedigt sie nicht. Und so nutzt sie die erste Gelegenheit, die sich ihr bietet um sich selbst zu helfen. Bis vor kurzem wurden für die Übersetzer, die bei der Polizei oder der Justiz in Frankreich arbeiten, keine Sozialversicherungsbeiträge oder Altersvorsorge bezahlt. Also ist es nur verständlich, dass die Hauptfigur sich Sorgen um ihre Finanzen und auch über die Zukunft macht. Sie ist eine Frau, die versucht alte Muster hinter sich zu lassen, indem sie die Schulden ihres verstorbenen Mannes bezahlt, der – das lässt der Film zumindest vermuten – auch in kriminelle Geschäfte involviert war. Dabei vergisst sie allerdings völlig zu „leben“. Gleichzeitig hat sie eine Beziehung mit ihrem Chef bei der Polizei. Er ist ruhig, nett und verständig, aber man hat in vielen Momenten doch das Gefühl, dass sie einsam ist, da sie mit niemandem über ihre Bedürfnisse reden kann oder möchte. Und so lebt sie bloß vor sich hin, mit all den Alltagsproblemen, die Eltern früher immer als „Erwachsen werden“ beschrieben haben. Isabelle Huppert („ELLE“, „HEAVEN'S GATE“) spielt eine zerbrechliche und zugleich skrupellose Frau, die in manchen Situationen fast schon hilflos wirkt, bis sie wieder in ihrem Element ist. Denn täuschen, das kann sie, sehr gut sogar. In diesen Momenten kommt dann die Frau zum Vorschein, die sie einige Jahre und über viele Enttäuschungen hinter einer dicken Schicht Normalität, Langeweile und sogar Gleichgültigkeit versteckt hat.


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Ein wunderbarer Widerspruch zwischen der zerbrechlichen und schmalen Patience und den bulligen Männern, die den Drogenhandel von Paris zwischen sich aufgeteilt haben und um die „Marktanteile“ kämpfen. Immer wieder laviert sie sich mit Geschicklichkeit und einer gewissen Portion Dreistigkeit durch brenzlige Situationen. Ein gutes Beispiel dafür ist, wenn sie eine ganze Tasche Haschisch an ihre beiden Abnehmer verkauft und danach von einer konkurrierenden Bande verfolgt wird. Sie löst diese Bedrohung, indem sie sich an zwei Polizisten wendet, die auf der Straße stehen. Diese beiden glaube natürlich nicht, dass diese kleine Frau in etwas kriminelles verwickelt sein könnte und tatsächlich von zwielichtigen Gestalten verfolgt wird.

Sie bewegt sich als maghrebinische Drogenhändlerin interessanterweise viel selbstsicherer und bestimmter, als in ihrem normalen Leben, wo sie fast ein wenig farblos wirkt. Als wäre sie ganz in ihrem Element und hätte nie etwas anderes getan. Das ist auch deswegen interessant, weil Isabelle Huppert in Wirklichkeit gar kein Arabisch spricht und auch die Texte, die sie im Film in dieser Sprache sagen muss, trotzdem sehr souverän agiert. Tatsächlich musste sie alle Texte phonetisch lernen, Silbe für Silbe. Und wer bereits einmal versucht hat sich Dinge einzuprägen, die man nicht versteht, kann sich vorstellen, wie schwierig das unter Umständen sein kann.


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Auch ein interessanter Part des Films kommt Hippolyte Giradot („LADY CHATTERLY“) zu. Er bildet den Konterpart zu Patience, bodenständig und irgendwie liebenswert, obwohl er als Leiter des Drogendezernats durchaus Autorität genießt. Auch er hat, wie die Rolle von Isabelle Huppert, viele Höhen und Tiefe und strahlt eine Ruhe und Menschlichkeit aus, die man von einem Polizisten nicht erwarten würde. Bis zu dem Punkt, an dem er sich wie eine Dogge an einem Thema festbeißt und einfach nicht mehr loslässt. Er ist so versessen davon „die Alte“ zu fangen, dass er sich völlig verausgabt. Er ist also genau wie Patience ebenso von Gegensätzen getrieben, sie sind dabei aber auch beide als Paar voller Gegensätze.

Insgesamt handelt es sich bei „Eine Frau mit berauschenden Talenten“ um eine amüsante Komödie, die ohne übertriebenen Kitsch auskommt. Man fragt sich eigentlich nur, warum dieser Titel für die deutsche Veröffentlichung gewählt wurde, denn auch darin verbirgt sich nur wieder ein saudummes Wortspiel, das dem Charme der Geschichte nicht gerecht wird. Die Figuren sind interessant und man mag sie auch irgendwie. Allerdings verschenkt er zu Gunsten der Komik auf manche durchaus ernsten Themen und kritisierbaren Zuständen, die es in der französischen Gesellschaft gibt. Angefangen von der personellen und finanziellen Situation in den Polizeibehörden. Aber auch die Dealer, denen Patience ihre Drogen verkauft machen keine besonders gute Figur. Trotzdem macht der Film Spaß und man freut sich, wie „die Alte“ doch allen ein Schnippchen schlägt, sowohl durch Kreativität als auch eine gewisse Portion Dreistigkeit.


EINE FRAU MIT BERAUSCHENDEN TALENTEN

Frankreich 2020 | Neue Visionen Filmverleih | Start: 08. Oktober 2020 (FSK 12)
R: Eric Lartigau | D: Alain Chabat, Doona Bae, Blanche Gardin



 


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