
SACHBUCH
| 04.06.2025
EIN
TADELLOSES GLÜCK
Der junge Thomas Mann und der Preis des Erfolgs
Heinrich
Breloer hat mit seinem TV-Mehrteiler „Die Manns“ unser Bild
von Thomas Mann geprägt wie niemand sonst. In „Ein tadelloses
Glück“ erzählt Breloer nun die ereignisreiche Vorgeschichte:
Vom Aufstieg Thomas Manns, seiner Liebe zu Männern, seinem Werben
um Katia Pringsheim und dem deutsch-jüdischen Bündnis ihrer
Familien in den entscheidenden Jahren vor Beginn des Ersten Weltkriegs.
von
Steffie Sallieri

Heinrich
Breloer, dessen Name untrennbar mit seiner meisterhaften filmischen
Interpretation des Thomas Mann’schen Universums – von den
„Buddenbrooks“ bis zur Familiensaga „Die Manns“
– verbunden ist, widmet sich in seinem jüngsten, schwer zu
kategorisierenden Werk, "Ein tadelloses Glück: Der junge Thomas
Mann und der Preis des Erfolgs", einer bisher weniger ausführlich
beleuchteten Epoche im Leben des späteren Literaturnobelpreisträgers.
Es ist die Vorgeschichte des triumphalen Aufstiegs, die Formierung des
repräsentativen Schriftstellers Thomas Mann, eine Phase, die von
entscheidender individualpsychologischer und gesellschaftsgeschichtlicher
Brisanz geprägt ist. Breloers Fokus liegt auf der Zeit vor Thomas
Manns Eheschließung und dem Werben um Katia Pringsheim, der zwanzigjährigen
Tochter der legendär reichen Münchner Familie des Mathematikers
und Unternehmenserben Alfred Pringsheim. Dies ist ein Feld, das die
jüngere Forschung mit Nachdruck akzentuiert hat: Thomas
Manns frühe, intensive Bemühungen, seine homosexuellen Neigungen
zu unterdrücken und seine gesamte libidinöse Energie auf das
künstlerische Schaffen zu kanalisieren.
Nach
dem frühen Tod seines Vaters, eines angesehenen Lübecker Kaufmanns
und Ratsherren, sah sich der junge Thomas Mann zudem mit dem drohenden
Niedergang seiner Familie konfrontiert. Sein Streben nach einer Ehe
und dem Wiedererlangen von Prestige war somit nicht nur ein persönliches,
sondern auch ein existentielles Unterfangen. Als aufstrebender Schriftsteller
in München, der erste Erfolge verbuchen konnte, setzte er dabei
hochriskant auf die höchstmögliche Partie. Die einzige Tochter
der Pringsheims, umgeben von vier Brüdern, versprach nicht nur
enormen sozialen Aufstieg, sondern auch den Eintritt in das ersehnte
großbürgerliche Milieu. Dass es Thomas Mann gelang, diese
begehrte Verbindung zu erobern, legte den Grundstein für sein späteres,
immenses Ansehen. Breloer zeichnet Thomas Manns Kampf um Katia Pringsheim
mit einem ausgeprägten Gespür für inszenatorische Effekte
nach.

Seine
akribische Recherche und die Fähigkeit, selbst mit bedeutenden
Zeitzeugen zu sprechen, sind längst bekannt und versprechen eine
Fülle an Material. Doch das vorliegende Buch lässt sich kaum
als reines Sachbuch klassifizieren. Seine Form gleicht eher einem Roman
oder gar einem Drehbuch: Die Darstellung ist stark erzählerisch,
geprägt von kurzen, prägnanten Momenten, die an Filmszenen
erinnern. Die Auswahl der einzelnen Szenen ist zielsicher, häufig
bestehen sie aus Dialogen und bieten eine unmittelbare Draufsicht auf
einzelne Situationen. Hierin liegt jedoch auch eine ambivalente Problematik.
Was im Film, in Bildern, eine enorme Wirkung entfalten kann –
man denke an die Beschreibung von Katias schwarzen Augen bei der ersten
Begegnung aus der Ferne, während sie in der ersten Reihe einer
Wagner-Oper inmitten ihrer Familie sitzt – bleibt in dieser textuellen
Form oft eine bloße Behauptung. Wenn man sich dem Sujet Thomas
Mann widmet, stellt sich unweigerlich die Frage nach der adäquaten
sprachlichen Bewältigung. Ein gewisser literarischer Anspruch,
eine differenzierte Durchdringung der Motive, der inneren Konflikte
und Gefühlslagen scheint hier eigentlich vorgegeben. Derlei nuancierte
psychologische Auslotungen und literarische Finessen scheinen Breloer
jedoch weniger zu interessieren. Gelegentlich drängt sich sogar
eine kolportagehafte Tonalität unangenehm in den Vordergrund, die
dem intellektuellen Anspruch des Themas nicht immer gerecht wird. Ungeachtet
dieser formalen Aspekte beleuchtet Breloers Werk eine für die gesamte
Literaturgeschichte von immenser Bedeutung gewesene Phase. Thomas Mann,
der später als einer der bedeutendsten Vertreter der deutschsprachigen
Literatur des 20. Jahrhunderts gelten sollte, formte in diesen jungen
Jahren nicht nur seine persönliche Existenz, sondern legte auch
den Grundstein für ein literarisches Werk, das das Erbe der europäischen
Kultur auf einzigartige Weise verarbeitete und reflektierte. Seine Romane,
allen voran "Buddenbrooks", "Der Zauberberg" und
"Doktor Faustus", sind nicht nur tiefgründige psychologische
Studien, sondern auch scharfsinnige Analysen der bürgerlichen Gesellschaft,
des Künstlertums und der geistigen Strömungen seiner Zeit.
Manns Fähigkeit, komplexe
Ideen in fesselnde Erzählungen zu kleiden, seine meisterhafte Sprachbeherrschung
und sein tiefes Verständnis für die menschliche Psyche haben
sein Werk zu einem Kanon der Weltliteratur gemacht. Er verstand es,
Tradition und Moderne zu verbinden, psychologische Feinheiten mit gesellschaftlichen
Umwälzungen zu verknüpfen und dabei stets eine universelle
Relevanz zu bewahren. Seine Auseinandersetzung mit Themen wie Krankheit
und Tod, Kunst und Leben, Erotik und Moral, Bürgerlichkeit und
Künstlerexistenz prägten nicht nur die deutschsprachige Literatur,
sondern beeinflussten Generationen von Schriftstellern weltweit. Der
"Preis des Erfolgs", den Breloer im Untertitel seines Buches
thematisiert, war für Thomas Mann untrennbar mit seinem persönlichen
Kampf und der Disziplinierung seiner innersten Triebe verbunden –
ein Preis, der letztlich die Grundlage für die Schaffung eines
literarischen Œuvres von unvergänglichem Wert bildete. Breloers
Buch bietet somit eine wertvolle Ergänzung zum Verständnis
von Thomas Manns frühen Jahren und den Triebkräften, die seine
spätere Meisterschaft ermöglichten. Auch wenn die literarische
Umsetzung stellenweise hinter den Erwartungen an eine tiefgründige
Analyse zurückbleibt, so vermittelt es doch einen lebendigen Eindruck
von der Entschlossenheit und dem strategischen Kalkül eines jungen
Mannes, der bereit war, immense persönliche Opfer zu bringen, um
seinen Platz in der Welt und in der Literaturgeschichte zu erobern.
Es ist die Geschichte eines scheinbar "tadellosen Glücks",
dessen Fundament jedoch auf einem komplexen Geflecht von Verzicht, Ambition
und der unermüdlichen Arbeit an sich selbst und seinem Werk errichtet
wurde.
EIN
TADELLOSES GLÜCK
Der junge Thomas Mann und der Preis des Erfolgs
Heinrich
Breloer (Autor) | Deutsche Verlags-Anstalt | Gebundene Ausgabe: 464 Seiten
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