Startseite > Gesellschaft > Sachbuch | 01.01.2020

SACHBUCH
Phantome des Terrors:
Die Angst vor der Revolution und die Unterdrückung der Freiheit, 1789-1848

Nach der Französischen Revolution und dem Ende der Ära Napoleons 1815 wurden die alten Machtverhältnisse wiederhergestellt. Aus Angst vor den fortwirkenden freiheitlichen Ideen der Revolution etablierten die Herrschenden Europas ausgefeilte Polizeisysteme gegen reale und häufig imaginäre Staatsfeinde.

von Richard-Heinrich Tarenz


© dtv Verlagsgesellschaft

Nach der Französischen Revolution und dem Ende der Ära Napoleons 1815 wurden die alten Machtverhältnisse wiederhergestellt. Aus Angst vor den fortwirkenden freiheitlichen Ideen der Revolution etablierten die Herrschenden Europas ausgefeilte Polizeisysteme gegen reale und häufig imaginäre Staatsfeinde. Doch letztlich brachen sich die Freiheitsbewegungen in den Revolutionen von 1830 in Frankreich und 1848/49 in Deutschland Bahn. Anschaulich und mitreißend erzählt Adam Zamoyski die Geschichte Europas in dieser Zeit…

Adam Zamoyski präsentiert mit „Phantome des Terrors“, das nun als Taschenbuch erscheint, eine differenzierte Betrachtung und Analyse einer wichtigen Epoche der europäischen Geschichte. Einer Epoche, die bis auf den heutigen Tag nachwirkt und das Leben von vielen Menschen beeinflusst. Es ist die Geschichte von „Mächtigen“, die ihre Macht bedroht sehen und vom „Volk“, welches Sehnsucht nach Freiheit verspürt und diese Freiheit umsetzen möchte. Dieses zeitlose Narrativ der Menschheitsgeschichte wird exemplarisch anhand der Ereignisse nach der französischen Revolution erklärt und in einen aktuellen gesellschaftspolitischen Gesamtzusammenhang gestellt. Die französische Revolution ist in vielerlei Hinsicht der „Ground Zero“ der jüngeren Geschichte. Eine heilige Ordnung, die für die Ewigkeit konstruiert schien, zerbrach über Nacht, der Nationalstaat betrat das Licht der Weltbühne und eine Schockwelle ging durch die Welt, deren Nachwirkungen bis in die heutige Zeit spürbar sind. Nach der französischen Revolution und nach dem Sieg Europas über Napoleon war die Welt nicht mehr die Gleiche. Könige und Königinnen, die nahezu unantastbar schienen, konnten einfach so vom „Volk“ hingerichtet werden. Die Mächtigen beschlich ein Gefühl der Angst und daraus entwickelte sich eine starke Paranoia, die dazu führte, dass Geheimdienste, eine starke Polizei, Zensur und ein ständiges Misstrauen gegenüber dem „Volk“ entstand. Dieses Klima beschreibt das Buch sehr plastisch und leitet detailliert her, wie zwischen 1789 bis 1848 diese Begriffe immer mehr das Denken von „Mächtigen“ und „Volk“ bestimmten. Doch diese repressiven Maßnahmen schüren nur den Freiheitswillen und verhindern keineswegs Revolutionen, sondern beschleunigen sie. Revolutionsversuche, die dann blutig niedergeschlagen werden und zu einer weiteren Spirale von Überwachung, Gewalt und Zensur führen, die bis in die heutige Zeit andauert. Adam Zamoyski erweist sich als ein akribischer Meister der Fakten.

Auf 624 Seiten beschreibt er ausführlich diese Zeit, beleuchtet alle Seiten und spart nicht mit empirischen Daten. Seine Kernaussage in „Phantome des Terrors“ ist, dass die „Mächtigen“ die revolutionäre Panik zu einem großen Teil selber schüren. Es entsteht ein Sicherheitsapparat, der nicht dafür zurückschreckt Gefahren zu konstruieren und zu schüren, um selber seinen Einfluss nicht zu verlieren und auszubauen. Kontrolle und Einschränkungen persönlicher Freiheiten als Selbstzweck, als bloßes Mittel zum Machterhalt. Wenn der Autor schließlich Parallelen zur Gegenwart aufzeigt, entwickelt das Buch eine große gesellschaftspolitische Brisanz und Relevanz. Es ist erschreckend, wie sehr sich die im Buch beschriebene Periode und unsere heutige Zeit ähneln. Sie gleichen sich insofern, dass weitgehend alle zur Verfügung stehenden Mittel ausgeschöpft werden, um den Status Quo der „Mächtigen“ zu bewahren und „Sicherheit“ herzustellen. Doch was bedeutet sich „Sicherheit“ eigentlich? Auch auf diese Frage geht das Buch ausführlich ein und leitet den Begriff historisch her. Vor 150 Jahren definierte der russische Zar Alexander I. „Sicherheit“ als einen „Kampf gegen das Böse“. Eine Formulierung, die man in der heutigen Zeit eher mit einem ehemaligen US-Präsidenten verbinden würde. Adam Zamoyski zeigt aber auch auf, dass die „Mächtigen“ nicht nur Überwachung und Zensur als Mittel zur Bewahrung von „Sicherheit“ bis in die heutige Zeit ansehen, sondern es auch stets einen starken Reformwillen gab. Dieser wurde jedoch in der Regel durch Paranoia und Angst marginalisiert und verlief häufig im Nichts. Die genauen Mechanismen, wie das geschah und mit welchen Mitteln legt dieses Buch sehr anschaulich dar. Ebenso werden die Folgen diese Repression verständlich dargestellt. In dieser Zeit fand die massive Einmischung des Staates in das Privatleben seinen Anfang. In der Folge entstand ein mächtiger Sicherheitsapparat aus Beamten und Polizisten, ein „Deep State“, der unabhängig von wechselnden Regierungen und politischen Strömungen seine Macht zu erhalten versucht, ein „Sicherheitsapparat“, der von Feinbildern lebt und von der Angst im „Volk“ vor Terror und Instabilität. „Phantome des Terrors“ ist ein wichtiges Buch, weil es die Entstehung dieser Strukturen beschreibt und erklärt und damit unsere heutige Zeit ein verständlicher macht.


Adam Zamoyski | Phantome des Terrors: Die Angst vor der Revolution und die Unterdrückung der Freiheit, 1789-1848 | dtv Verlagsgesellschaft

 

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