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DOKUMENTATION | 25.05.2020

60 Jahre Pille
Wo bleibt die Pille für den Mann?

Seit Anfang der 60er Jahre ist die Pille in Deutschland zugelassen und bereits Mitte der 70er Jahre war sie das beliebteste und meist genutzte Verhütungsmittel. Bis heute ist sie in vielen Beziehungen trotz ihrer massiven Nebenwirkungen nicht wegzudenken. Aber Verhütung muss ja nicht unbedingt nur Aufgabe der Frau sein, es könnte vielmehr auch genau andersherum sein. Die Dokumentation macht sich auf die Suche nach Antworten, warum die Pille für den Mann eigentlich nicht schon längst auf dem Markt ist. Und welche alternativen Methoden zur Verhütung für den Mann es bereits gibt.

von Eve Pohl


250 verschiedene Pillen-Sorten für die Frau gibt es – und für den Mann?
© Langbein & Partner

Wenn man sich eingehend mit der Pille als Verhütungsmittel befasst, bemerkt man schnell, dass sie ein zweischneidiges Schwert ist, dass es Dinge gibt, die als schlecht erachtet werden, aber auch Dinge, die sie erstrebenswert und interessant machen. Heute allerdings ist von diesen positiven Seiten nicht mehr allzu viel übriggeblieben, da es genügend Alternativen gibt. Sie gilt als eines der sichersten Verhütungsmittel, die Wahrscheinlichkeit einer ungewollten Schwangerschaft ist also niedrig, hat aber auch viele unangenehme Nebenwirkungen, die vergleichsweise häufig auftreten. Die Pille ermöglicht der Frau die Emanzipation von den Verhütungsfähigkeiten ihres Geschlechtspartners. Das ist natürlich neben der Tatsache, dass auch die Familienplanung im Zweifelsfall in ihrer eigenen Hand liegt, alles sehr gut. Dennoch gibt es mit der Pille einige, teilweise auch gravierende Probleme. Mit der Einnahme des Medikaments wird der natürliche Zyklus einer Frau manipuliert, was massive hormonelle Eingriffe in den Körper bedeutet. Aber auch die Nebenwirkungen, die für eigentlich gesunde Frauen auftreten sind massiv. Neben häufigen Effekten wie Kopfschmerzen, Gewichtszunahme oder Stimmungsschwankungen ist auch das Tromboserisiko erhöht.

Zwischen den Jahren 2009 und 2011 gab es bereits eine groß angelegte Studie, welche von der Weltgesundheitsorganisation finanziert wurde, in welcher eine „Pille“ für den Mann getestet wurde. In diesem Fall handelt es sich aber nicht um eine Pille, sondern um zwei Spritzen mit Gestagen und Thestorsteron, die den Männern injiziert wurden. Allerdings wurde die Studie leider abgebrochen, nachdem bei etwa zehn Prozent der Probanden über Nebenwirkungen wie weniger Libido oder depressive Verstimmungen klagten. Sicherlich ist es richtig, dass ein Medikament, welches nicht zur Behandlung wirklicher Krankheiten gedacht ist, keine solche Dinge mit sich bringen sollte. Aber zu Recht gab es den Einwand vieler Frauen, dass dort wohl mit zweierlei Maß gemessen würde. Denn die Pille, die seit sechzig Jahren für genau sie auf dem Markt ist, kommt mit den identischen Nebenerscheinungen. Und eigentlich wäre richtig: Kein Mensch, egal ob weiblich oder männlich sollte seinem Körper einen solchen chemischen Cocktail zuführen. Es müsste schonende und ebenso leicht einzunehmende Alternativen geben, eben auch für die Frau.


Nisse Falter (li.) zeigt seinem Freund Clemens (re.), wie man einen Verhütungs-Slip selbst näht.
© Langbein & Partner

In Teilen offenbart die ARTE - Dokumentation aber auch wirklich kuriose Praktiken, die zwar funktionieren und auch keine chemische Belastung für den männlichen Körper darstellen, dafür aber etwas seltsam anmuten. Beispielsweise der hier vorgestellte „Slip contraceptif“, der mit der thermischen Methode verhütet, indem die Hoden in den Bauchraum geschoben werden. Dort erwärmen sie sich und die Spermien bilden sich zurück, weil sie nicht mehr schwimmen können. Dafür muss man den dazugehörigen Slip allerdings etwa fünfzehn Stunden am Tag tragen und zwar jeden Tag. Nach etwa drei Monaten muss man dann die Anzahl der Spermien beim Facharzt überprüfen lassen und weiß, ob man ihn korrekt verwendet hat.

Aber auch an eher herkömmlichen Formen wird in vielen Ländern geforscht. In Seattle beispielsweise forscht man an einem Präparat, welches die zwei Spritzen ersetzt und stattdessen eine tatsächliche Pille ist, die man selber einnehmen kann. Aber auch mit Hilfe eines Gels, welches man auf die Schulter aufträgt und das dann langsam und kontinuierlich Testosteron über die Haut abgibt. In Indien gibt es einen Ansatz, bei dem ein Gel in den Samenleiter injiziert wird und so die Spermien am durchschwimmen desselben hindert und durch ein Spannungsfeld die Köpfe zerstört werden. Allerdings müssen dort nun noch Studien durchgeführt werden, ob das Gel reversibel ist und so wird auch dieser Ansatz noch Zeit bis zu seiner Zulassung brauchen.


In Indien wurde bereits in den 1970er Jahren mit Forschungen zur männlichen Verhütung begonnen:
Professor Sujoy Guha aus Neu-Delhi ist einer der Vorreiter.

© Langbein & Partner

Vor 60 Jahren, als die Pille auf den Markt kam, hatten viele vor allem jüngere Frauen, die nicht verheiratet waren oder keine Kinder hatten, Schwierigkeiten an das Präparat zu kommen. Ärzte waren zögerlich, wenn es um die Verschreibung ging. Das ist heute nicht mehr so. Dafür gibt es inzwischen viele Frauen, die sich bewusst gegen die Verwendung entscheiden und gerne auf hormonfreie Verhütung umsteigen würden. Sei es aus gesundheitlichen Gründen oder aus Umweltaspekten. In diesem Feld ist noch viel zu tun.

Vermutlich wird es mit der Pille für den Mann nichts, solange sich das gesellschaftliche Klima und Mindset nicht ändert. Sobald Verhütung nicht mehr als Problem der Frau und auch die Versorgung der Kinder eben nicht mehr per se als eine Aufgabe der Mutter gesehen wird, kann man mit Fortschritten bei Verhütungsmitteln für Männer rechnen, die massentauglich sind. Denn wie man in der Dokumentation sehen kann, gibt es durchaus bereits jetzt verschiedene Methoden, die funktionieren. Aber leider sind sie entweder sehr kompliziert in der Anwendung, sodass sie nicht unbedingt für jeden funktionieren oder müssen noch breite klinische Tests zur Zulassung durchlaufen. Dafür ist aber auch ein politischer Wille nötig, um Forschungsinitiativen mit (mehr) Geld auszustatten. Solange die kapitalistische Verwertung der Pille für die Frau weiterhin funktioniert, sieht man darin aber wohl nicht unbedingt eine Notwendigkeit. Es ist aber schön, dass viele, vor allem junge Frauen, sich inzwischen intensiver mit diesen Präparaten beschäftigen und sich bewusst für einen bestimmten Weg der Verhütung entscheiden.


60 Jahre Pille - Wo bleibt die Pille für den Mann?

Erstausstrahlung: Dienstag, 26. Mai 2020 um 20.15 Uhr / ARTE
Weitere Sendetermine: Freitag, 5. Juni 2020 um 09.20 Uhr / ARTE
Online vom 25. Mai 2020 bis 2. Juni 2020

Österreich 2019 | ZDF | 90 Min.
R: Kirsten Esch | Dokumentarfilm

 

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