Startseite > Kultur > Literatur | 01.01.2020

LITERATUR
In der Nacht hör' ich die Sterne

140 Schritte: So viele trennen Mafalda noch von dem Tag, an dem es vollkommen dunkel um sie herum sein wird. Als das Mädchen vor drei Jahren erfuhr, dass mit seinen Augen etwas nicht stimmt, flüchtete es auf den Kirschbaum im Schulhof. Dank der neuen Hausmeisterin fand es wieder zurück auf den Boden der Realität.

von Eve Pohl


© dtv Verlagsgesellschaft

140 Schritte: So viele trennen Mafalda noch von dem Tag, an dem es vollkommen dunkel um sie herum sein wird. Als das Mädchen vor drei Jahren erfuhr, dass mit seinen Augen etwas nicht stimmt, flüchtete es auf den Kirschbaum im Schulhof. Dank der neuen Hausmeisterin fand es wieder zurück auf den Boden der Realität. Seitdem wird Mafalda von Estella morgens mit einem Pfiff begrüßt, sobald sie in die Straße zur Schule einbiegt. Anfangs kann sie von dort aus den Kirschbaum noch sehen. Doch mit jeder Woche werden es weniger Schritte. Tapfer geht sie ihrem Schicksal entgegen - unmerklich geleitet von Estella, die ihr zeigt, dass das Wesentliche im Leben für die Augen unsichtbar ist…

Dieses Buch sprüht nur so vor Metaphern, sodass man viele verschiedene Ebenen zum Nachdenken erhält. Normalerweise sagt man: „Der Weg ist das Ziel!“ In diesem Fall allerdings bedeutet das, je weniger Schritte Mafalda braucht, desto näher ist sie nicht am Ziel, sondern daran zu erblinden. Denn die Schritte hier beziehen sich auf die Frage, wie viele Schritte sie von ihrem Kirschbaum entfernt ist und ihn noch ausmachen kann. Auch der Baum selber als Symbol für das Leben, der immer mehr aus dem Blickfeld verschwindet, kann schon als Bild betrachtet werden. Ebenso wie viele Anspielungen auf bekannte Literatur, die das Mädchen nicht unbedingt versteht, der Leser aber teilweise schon. Die Geschichte ist einfach, aber dennoch emotional mitreißend. Obwohl das Mädchen ihr Augenlicht verliert, gibt sie nie ihren Lebenswillen auf, sondern arbeitet fieberhaft daran, eine Liste abzuarbeiten, auf der lauter Dinge stehen, die scheinbar nur mit Sehvermögen möglich sind. Je weniger sie jedoch sieht, desto klarer wird, dass Sehkraft keinen Menschen ausmacht. Das größte Problem dieses Buches ist, dass man genau merkt, dass eine erwachsene Frau dieses Buch schreibt, die sich als achtjährige ausgibt und versucht die Geschichte aus der Sicht eines Kindes zu erzählen. Man hätte es vielleicht lösen können, indem man statt eines Ich-Erzählers einen auktorialen Erzähler gewählt hätte. Leider kegelt genau dieser Stil einen an manchen Stellen des Buches hinaus, sodass man den Roman zwar Ende zwar interessant und irgendwie schön, aber nicht außergewöhnlich findet.


Paola Peretti | In der Nacht hör' ich die Sterne | dtv Verlagsgesellschaft

 

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